Porträt: Abbas Khiders Bücher transportieren Welterfahrungen

"Von zärtlicher Polemik und lachendem Entsetzen"

Von Beate Tröger

Ein Porträt des Autors Abbas Khider

Kennen Sie Herrn Abbas Müller-Schmidt? Sie sollten ihn kennenlernen! Oder, genauer gesagt, sein amüsantes Buch Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch. Noch genauer gesagt, heißt Abbas Müller-Schmidt gar nicht Müller-Schmidt, sondern Abbas Khider. Geboren wurde er 1973 in Bagdad. 1996, nach Jahren in Haft, floh er aus dem Irak und hielt sich als »illegaler« Flüchtling in verschiedenen Ländern auf, ehe er 2000 nach Deutschland kam und in München und Potsdam Literatur und Philosophie studierte.

Heute lebt Khider als freier Autor in Berlin, und Abbas Müller-Schmidt, sein literarisches Alter Ego, ist jener Teil in ihm, der sich trotz aller Widrigkeiten beim Versuch, Deutsch zu lernen, »nicht länger verzweifelt an [s]eine Muttersprache klammerte, sondern sich dem Deutschen endgültig öffnete«. Wie dieser Prozess vonstattenging, davon erzählt Deutsch für alle. Nur drei Worte konnte Abbas Khider, als er mit 27 Jahren in Deutschland ankam: »Hitler«, »Scheiße« und »Lufthansa«, allesamt international bekannte Begriffe, viele Menschen kennen sie, ohne jemals in Deutschland gewesen zu sein.
»Hitler« kannte Khider aus dem Irak: Mein Kampf galt als Lieblingsbuch des ältesten Sohnes des Diktators und lag in allen Schaufenstern der Buchläden Bagdads. Das Wort »Lufthansa« begegnete ihm auf der Flucht, es schien ihm »so unerreichbar wie Europa, so märchenhaft wie ein fliegender Teppich«, waren es doch ausschließlich die Reichen und Mächtigen unter den Flüchtlingen, die einen legalen oder illegalen Zugang zu dieser Fluglinie hatten. »Scheiße« lernte Khider schließlich in Italien, wo er das Wort als Antwort auf die Frage zu hören bekam, wie das Leben für Asylbewerber in Deutschland denn so sei.

Diese Schilderungen der bitterkomischen Kontexte seiner Erstberührungen mit der deutschen Sprache, in der Khider heute als vielfach ausgezeichneter Autor (unter anderem mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis, dem Nelly-Sachs-Preis und dem Hilde-Domin-Preis) schreibt, machen einen vertraut mit dem, was im Werk und im Ton dieses Autors mitschwingt: Da ist eine gewisse Leichtigkeit zu spüren, immer steckt etwas Zärtliches in seiner Polemik, immer schwingt Humor mit, der womöglich einem Trotz entspringt, einem Wunsch, sich gegen alle Widrigkeiten zu artikulieren und zu behaupten, und einer Sehnsucht, Geschichten, zumal die eigene Geschichte zu erzählen.
Immer schwingt in den Romanen, selbst im essayistischen Deutsch für alle bei aller Drastik, aller Härte, aller Komplikation etwas Lebendiges und Frohes mit, immer entsteht etwas, etwa wenn Khider alles für Deutschlernende Überflüssige und Verwirrende kurzerhand abschafft und dabei gleich noch ideologische Implikationen des Sprachgebrauchs aus dem Weg räumt: »Nichts auf diesem Planeten verdient es, dekliniert zu werden«, oder: »Das Genus folgt den Gesetzen der Natur oder der freien Entscheidung eines jeden.« So ist Deutsch für alle nicht nur eine amüsante Satire auf die abwegigeren und keiner Logik folgenden Regeln der deutschen Sprache, sondern auch eine Denkschrift darüber, wie sich Sprache und Bewusstsein zueinander verhalten, umso mehr, wenn man sich dieser Sprache als noch nicht Kundiger nähert.
Kehren wir zum Lachen zurück. In Die Orangen des Präsidenten, Khiders drittem Roman, sagt der Erzähler, der 1989 in Nasrijah, Irak, in Haft sitzt und soeben aufs Heftigste gefoltert worden ist: »Das Beste wird sein, mir ein Heft und einen Stift zu besorgen und in die Vergangenheit zurückzukehren. Vielleicht gelingt es mir ja sogar auf diese Weise, endlich das Geheimnis meines Lachens zu ergründen …« Man wird diesem Geheimnis am Ende der Lektüre tatsächlich etwas näher gekommen sein.

Erzählt wird in Die Orangen des Präsidenten die Geschichte von Mahdi Hamamah, dem jungen Taubenzüchter, der nach seinem Abitur unversehens in Haft kommt, in einem Gefängnis unter Saddam Husseins Regime brutal gefoltert wird und endlich freikommt. Seinen Peinigern begegnet der Erzähler mit einem »Trauerlachen«, einer »neuen, melancholischen Art des Lachens«. Bisweilen ereilt es einen dann auch beim Lesen dieses Romans.

Seine erzählerischen Fundamente gründen im Autobiografischen, das gilt auch für Khiders weitere Bücher: das Debüt Der falsche Inder (2008), die Briefe aus der Auberginenrepublik (2012) und den Roman Ohrfeige (2016). Mit seinem Erzählen entlang der eigenen Biografie kann man Khiders Werk in die Reihe der autofiktional schreibenden Autoren und Autorinnen einordnen; dabei ist die Prägung durch Flucht und Vertreibung eine zentrale Achse. Khiders Debüt, Der falsche Inder, erzählt von der Flucht Rasul Hamids, der nach einer wilden Odyssee nach Jordanien, durch Libyen, Griechenland, die Türkei und Italien schließlich in Deutschland endet, wo ja auch Abbas Khider strandete.
Welche Schikanen und Absurditäten ein Geflüchteter erfahren und verarbeiten muss, beziehungsweise nicht verarbeiten kann, wenn er sich angekommen glaubt, davon erzählt Ohrfeige. Karim Mensy, ein weiteres literarisches Alter Ego von Khider, schildert in Form eines langen Traums, wie er der Sachbearbeiterin seines Asylantrags endlich einmal richtig die Meinung sagt, nachdem er sie geohrfeigt, gefesselt und geknebelt hat. Über die Länge des Romans thematisiert Ohrfeige die Phantasie einer Umkehrung des Herr-Knecht-Verhältnisses, wie sie auch in Die Orangen des Präsidenten schon in der Szene beschrieben ist, in der der aus der Haft entlassene Mahdi Hamamah seinen Peinigern aus dem Gefängnis wieder begegnet.

Man kann aus Khiders Werk viel lernen über die Verfasstheit des Menschen, insbesondere in Extremsituationen, die nicht immer politisch motiviert sein müssen. Im Falle von Ohrfeige, in dem die Suada des Erzählers auf die gefesselte und geknebelte Sachbearbeiterin seines Asylantrags niederprasselt, stellt sich heraus, dass der Erzähler Karim Mensy unter Gynäkomatie leidet, unter weiblichem Brustwachstum aufgrund einer pubertären Hormonstörung. Er flieht, weil er sich nach einer in Europa möglichen Operation sehnt, die ihn zu einem »normalen« Menschen machen würde.

Immer ist es auch der Wunsch, frei sprechen und schreiben zu können, der die Figuren in Khiders Romanen antreibt. In seinem Debüt Der falsche Inder findet ein Zugreisender in seinem Abteil einen Umschlag mit einem Manuskript, das die Lebensgeschichte von Rasul Hamid schildert, achtmal und auf verschiedene Weise. Es ist die wilde Odyssee eines Flüchtlings aus dem Irak, der durch Europa irrt und nicht leben kann, ohne zu schreiben, und sei es auf Wände. Ein Motiv, das bei Khider immer wieder auftaucht und in dem verschiedene Erzähltraditionen konvergieren: »Möglicherweise meines babylonischen Blutes wegen begann ich früh, an die verschiedensten Wände zu schmieren. Nicht etwa, um die Sprache zu schützen, vielmehr um die älteren Menschen zu ärgern. Damals kannte ich noch nicht die Verse von Heinrich Heine: ›Und schrieb und schrieb an weißer Wand Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand.‹« Das Menetekel, das Gott dem König Belsazar überbrachte und ihm damit von dessen Tod kündete, wandert von Heines Ballade hinüber in Khiders Werk, wo es aber von den Protagonisten seiner Romane, die Zeugen historischer Umbrüche werden, in etwas Freundlicheres als eine Todesbotschaft verwandelt wird, nämlich in eine des (Über-)Lebens – dennoch den Schrecken und die Willkür politischer Systeme transportierend.
Auch in Briefe in die Auberginenrepublik ist die Erfahrung von Flucht und Vertreibung Gegenstand des Romans. Erzählt wird von einem Liebesbrief, der, im Jahr 1999 in der libyischen Hafenstadt Benghasi aufgegeben, seine Adressatin in Bagdad nie erreicht. Sein Schreiber ist Salim, von dem die Geschichte ausgeht. Sie wird in den sieben Kapiteln des Romans fortgesponnen, jedoch von sechs weiteren Ich-Erzählern, die auf jeweils unterschiedliche Weise mit dem Brief zu tun bekommen.

Anders als die Briefe in diesem Roman sind Abbas Khiders Bücher leicht erreichbar. Sie transportieren wichtige Botschaften über Welterfahrungen, die vielen zum Glück fremd bleiben. Es sind Welterfahrungen derer, die unter uns und anderswo leben – im besseren Falle noch leben. Vergegenwärtigt man sich dies, bleibt einem manches »Trauerlachen« im Hals stecken.

Zum Weiterlesen:

Der falsche Inder. Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2008


Die Orangen des Präsidenten. Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2011 (als Taschenbuch bei btb)


Brief in die Auberginenrepublik. Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2013
Ohrfeige. Roman. C. Hanser, München 2016


Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch. C. Hanser, München 2019
(Hörbuch, gelesen von
Omar El-Saeidi. Hörbuch Hamburg, 2019)

Abbas Khider ist im September der 13. Stipendiat auf der Comburg bei Schwäbisch Hall. Am 19. 9. um 18 Uhr findet die Preisverleihung im Haller Rathaus statt, bei der José F. A. Oliver die Laudatio hält, am 26. 9. liest Abbas Khider im Kaisersaal der Comburg.

Website des Autors: www.abbaskhider.com