462 Frauen und 1 Jubiläum -Zum 100. Bauhaus-Geburtstag rücken vier neue Bücher den weiblichen Anteil ins Licht (Elke Linda Buchholz)

Von Elke Linda Buchholz

462 Frauen und 1 Jubiläum

Zum 100. Bauhaus-Geburtstag rücken vier neue Bücher den weiblichen Anteil ins Licht

Das Bauhaus war weiblich. Oder etwa nicht? 462 Frauen! So viele schrieben sich zwischen 1919 und 1933 in Weimar, Dessau und Berlin ein. Anfangs stellten sie sogar die Mehrheit der Studierenden. Nicht gerechnet die Gärtnerin, die Formmeisterin für »Praktische Harmonisierungslehre« und später in Dessau die athletische junge Sportlehrerin, die auf dem Flachdach der Schule mit der Belegschaft Luftsprünge trainierte. Es gab weibliche Lehrkräfte und die Ehefrauen der Bauhaus-Meister mischten auch ohne offizielle Position mit. Dazu kam das weibliche Bodenpersonal der Haushalts- und Reinigungskräfte, die den frei fliegenden Kreativbetrieb erst ermöglichten. Aber trotz des Anspruchs, alles neu und anders zu machen: Leicht hatten es die Frauen am Bauhaus nicht. Die neu gewonnene Gleichberechtigung stand nur auf dem Papier – in der Weimarer Verfassung wie im Gründungsmanifest des Bauhauses.

Auch zur 100. Geburtstagsparty geben in vielen Publikationen die Herren Direktoren und Meister lässig den Ton an, so wie auf einem berühmten Foto der Meisterriege: Primus Gropius mit Zigarette, der schöne Kandinsky als Senior und rundum die schnittigen Jungmeister. Gunta Stölzl hält als einzige Werkstattleiterin unter männlichen Kollegen die Stellung: Immerhin der zur Frauenklasse gestempelten Weberei gestand man eine weibliche Leitung zu. In der Führungsetage findet sich also nicht, was das Bauhaus weiblich macht. Aber die Bauhaus-Geschichtsschreibung hat aufgeholt. Vier Neuerscheinungen profitieren von der mittlerweile geleisteten Forschungsarbeit zu den Bauhäuslerinnen. Roman oder Bildband? Phantasie oder Faktenlage? Um die weibliche Geschichte der legendären Schule, die zugleich Wirtschaftsunternehmen, Produktionsbetrieb und gesellschaftlicher Experimentierraum war, zu erzählen, gibt es viele Wege.

Frauen um Gropius

Wer Lust auf eleganten Stil und eine leichthändig ironische Distanz zu den Heldinnen und Helden hat, sollte zu Ursula Muschelers Bändchen über die Frauen um Walter Gropius greifen: Mutter, Muse und Frau Bauhaus. Allein schon die pikante Cover-Farbgestaltung in Petrol, Rosa und Schwarz signalisiert, dass der sparsam  bebilderte 160-Seiten-Band nicht vorhat, die üblichen Klischees aufzuwärmen. Der Autorin, einer promovierten Architektin, gelingt es aufs Schönste, um den Direx herum eine schillernde Schar eigensinniger Persönlichkeiten lebendig werden zu lassen. Dass auch er selbst als notorisch untreuer, nervenschwacher und überarbeiteter Kommunikator und Projektemacher nicht zu kurz kommt, liegt in der Natur der Sache. Wie gut, dass alle Beteiligten so viele Briefe geschrieben haben! Ob Liebesglut oder Finanznöte: Die Quellenlage ist prächtig, und Muscheler nutzt dies, um die wild wechselnden Gefühlslagen ihres vorwiegend weiblichen Figurentableaus aufzudröseln. Ein Psychogramm der Epoche. Die kapriziöse Femme fatale Alma Mahler jongliert mit ihren Geniekandidaten Mahler, Kokoschka, Gropius und Werfel – und lässt den Bauhaus-Mann irgendwann wie eine heiße Kartoffel fallen. Als kluge Beraterin, lebenslänglich, bleibt ihm die preußische Rittergutsbesitzerin Manon erhalten: seine Mutter. In die Enfilade der Kurzzeitgeliebten reiht sich Maria Benemann ein. Die expressionistische Dichterin nagt ständig am Hungertuch, mag aber von der hehren Dichtkunst nicht lassen und lässt sich von Gropius nicht so rasch abservieren. Die Malerin Lily Hildebrandt, deren Mann das Buch über Die Frau als Künstlerin schreibt, spannt Gropius ein, um sich und das Bauhaus noch besser zu vernetzen. Erst als Ise 1923 im letzten Buchdrittel die Bildfläche betritt, wird das Bauhaus endgültig Hauptschauplatz der Handlung. Stürmisches Werben, Verliebtheit, ernüchterter Ehealltag: Ise Gropius entfaltet bald eine verblüffende Betriebsamkeit und bringt das Projekt Bauhaus energisch voran. Sie schreibt, korrigiert, hält Vorträge und führt Journalisten durch ihr patentes Meisterhaus samt begehbarem Kleiderschrank, Heißwasser-Soda-Dusche und elektrischem Staubsauger. Mit Gropius’ Abgang vom Bauhaus 1928 ist diese Ära auch für Ise vorbei. Es folgt ihre heftige Zweijahres-Affäre mit dem Ex-Bauhäusler Herbert Bayer, dann ist das Ehepaar Gropius quitt. Flott werden die Lebensgeschichten über NS-Zeit und US-Exil hinweg zu Ende erzählt. Eine runde Sache, nicht zu lang, nicht zu kurz. Die solide recherchierten Fakten bekommt man so leichthändig serviert, dass sich alles wie ein Roman liest.

Frau Bauhaus

Tatsächlich einen Roman daraus zu machen versucht die Architektin Jana Revedin, die in Paris und Lyon als Professorin lehrt. Auch sie schöpft aus den Tagebuchnotizen von Ise Frank alias Gropius und eingehender Quellenkenntnis: »Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus« zitiert ihr Titel die Protagonistin und schildert aus deren Sicht den Weg von der literarisch begabten Buchhandelsangestellten und Gelegenheitsjournalistin zur Sparringspartnerin des Bauhaus-Direktors. Die selbstbewusste junge Frau himmelt nicht an, sondern prüft, denkt nach und hinterfragt. Aber leider: Die stationenhafte Handlung ächzt unter allzu präzisen Detailschilderungen, ohne dadurch an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Milchkaffee mit duftendem Hefezopf, Weißwein und apfelgrüne Wiesen, zitronengelbe Shantungseide und der Duft teurer ausländischer Zigaretten … Die imaginierten Situationen bleiben schablonenhaft. Könnte es so gewesen sein? Mit einer dramatischen Fehlgeburt und einer filmreifen Beziehungskrise im Pariser Appartement, in der die schöne Bauhäuslerin Irene Hecht die Fäden zieht? Viele Fragen bleiben offen. Ise als Figur wird trotz allen Bemühens nicht recht lebendig. Letztlich unterminiert der unwägbare fiktionale Anteil der Erzählung sogar das Wahrscheinliche und historisch Belegte. Was bleibt, ist der oft wiederholte Schlüsselsatz von Gropius: »Ich brauche Sie, Ise!« Der trifft wahrscheinlich wirklich den Kern der Beziehung.

45 Bauhaus-Frauen

Nicht eine, sondern gleich 45 Bauhäuslerinnen nimmt sich der Band Frauen am Bauhaus aus dem Knesebeck-Verlag vor, eine Übernahme aus dem Englischen. Das Herausgeberduo Patrick Rössler und Elizabeth Otto hat bekannte und unbekannte Protagonistinnen ausgewählt und locker chronologisch zu Einzelporträts addiert. Diese Fundgrube zum Stöbern beginnt mit der vielseitigen Friedl Dicker, die 1919 mit Vorkursleiter Itten aus Wien ans Weimarer Bauhaus kam und später, da Jüdin, ins KZ Theresienstadt deportiert wurde, wo sie Kindern Malunterricht gab. Den Schlusspart übernimmt die erfolgreiche Designerin Lilly Reich, die so eng mit dem letzten Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe zusammenarbeitete, dass der Anteil beider an manchen Stahlrohrmöbeln bis heute strittig ist. Beim Blättern liest man sich an erstaunlichen Biografien fest. Die Diplombibliothekarin Margaret Leiteritz studierte Tanz bei Mary Wigman, bevor sie ans Bauhaus kam. Mit über 60 Jahren schuf sie, neben ihrer Arbeit am Institut für Gastechnik der TU Karlsruhe, ein erstaunliches Werk: 40 feinste abstrakte Gemälde nach chemischen Diagrammen. Edith Tudor-Hart, geborene Suschitzky, reüssierte in London als Fotografin, war aber auch KGB-Spionin. Die Japanerin Michiko Yamawaki exportierte ihre Bauhaus-Erfahrung nach Fernost. Überhaupt trugen die Bauhäuslerinnen, aus Irland, Ungarn oder den Niederlanden herbeigeströmt, entscheidend zur Globalisierung der Bauhaus-Ideen und ihrer weltweiten Nachwirkung bei. Im Lande blieb Lydia Driesch-Foucar: Sie münzte die Bauhaus-Ästhetik in Eat-Art um und verkaufte »künstlerische Lebkuchen«, die ihr den Lebensunterhalt sicherten.

Klasse auf der Bauhaus-Treppe

Viele dieser Gestalterinnen und Überlebenskünstlerinnen begegnen einem in dem sorgfältig gemachten und reich bebilderten Band Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design von Ulrike Müller wieder. Das vor zehn Jahren erschienene Standardwerk wurde jetzt zum Jubiläum komplett aktualisiert und ergänzt. Damals stieß die Veröffentlichung viele neue Forschungen an, und tatsächlich überzeugt das klar konzipierte Überblickswerk noch immer, ist gut lesbar, mit Tiefgang und viel Material, ohne sich darin zu verheddern. Kluge Einführungstexte erschließen Zusammenhänge und ergänzen die biografischen Kapitel zu gut zwanzig herausragenden Bauhaus-Frauen. Warum die Malerin Ida Kerkovius sich mit fast 50 Jahren am Bauhaus einschrieb, wie Marianne Brandt es in die männerdominierte Metallwerkstatt schaffte und was Marguerite Friedlaender-Wildenhain zu einer der wichtigsten Keramikerinnen der Moderne machte: Ein breites Spektrum ganz unterschiedlicher Lebens- und Schaffensentwürfe tut sich auf. Die Hemmnisse waren da, die Kraft, sie zu überwinden auch. Auf einem Foto sieht man die Weberinnenklasse auf der Bauhaus-Treppe: Lachend drehen die Frauen sich noch einmal um, bevor sie weitersteigen. Sie tragen kniekurze Röcke oder Hosen, Strickpulli oder Bluse, Kurzhaarschnitt oder Lockenkopf. Der Weg geht nach oben. Das Bauhaus-Jubiläum ist eine gute Gelegenheit, sie wieder ein Stück sichtbarer zu machen: die Frauen der Moderne, die sich auf den Weg machten.

Zum Weiterlesen:

Ursula Muscheler, Mutter, Muse und Frau Gropius. Die Frauen um Gropius. Berenberg Verlag, Berlin 2018. 160 Seiten, 24 Euro

Jana Revedin, Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus. Das Leben der Ise Frank. Ein biographischer Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2018. 304 Seiten, 22 Euro

Patrick Rössler und Elizabeth Otto (Hrsg.), Frauen am Bauhaus. Wegweisende Künstlerinnen der Moderne. Knesebeck Verlag, München 2019. 192 Seiten mit 200 farbigen Abbildungen, 35 Euro

Ulrike Müller, Bauhausfrauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2019. 168 Seiten mit vielen farbigen Abbildungen, 39,95 Euro

Elke Linda Buchholz, geboren 1966, lebt als freie Autorin und Kunsthistorikerin in Berlin. Sie hat zahlreiche Bücher zu Kunst- und Kulturgeschichte veröffentlicht, Audioguides zu Ausstellungen und für Museen produziert und schreibt unter anderem für den Tagesspiegel.

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Ré Soupault, Bauhaus. Die heroischen Jahre von Weimar. Hrsg. von Manfred Metzner, übersetzt von Beate Thill. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2009. 62 Seiten, 16,80 Euro

Ein Insider-Bericht aus den Anfangsjahren stammt von Ré Soupault, die später in Paris mit Modeentwürfen und Fotografien bekannt werden sollte. So schmal das Bändchen auch ist, das einen offiziellen Bericht von 1968 und Auszüge aus autobiographischen Notizen von 1977 enthält, so aufschlussreich sind die Eindrücke von Soupaults Begegnungen mit Gropius, Itten, Schlemmer, Klee und anderen Bauhaus-Lehrern, vor allem aber von der Aufbruchsstimmung im Weimar der »Spießer« und im Kontrast dazu den Lebensbedingungen der bitterarmen Bauhaus-SchülerInnen: »Ein Ideal hatte uns zusammengeführt: weg von den Vorurteilen einer bürgerlichen Welt.«