»Letztlich ging und geht es um Ton, Vertonung und die Magie des gesprochenen Wortes«
Von Irene Ferchl
Über die Begebenheit auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2016 amüsieren sich die Beteiligten bis heute: Tina Walz besucht Britta Jürgs, die Verlegerin des AvivA-Verlags, an ihrem Stand, weil sie von deren Neuerscheinung »Und draußen weht ein fremder Wind …« so begeistert ist, dass sie sie gern als Hörbuch produzieren möchte – und holt zur Beschreibung ihres Diwan-Hörbuchverlags aus …Britta Jürgs weiß über dessen Protagonistin und Produktion allerdings nur zu gut Bescheid, sie saß nämlich kurz zuvor in der Jury für den baden-württembergischen Kleinverlagspreis und muss sich nun in Stillschweigen üben …
Erst Anfang November 2016 gibt das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst die Entscheidung bekannt: Der Diwan-Hörbuchverlag überzeuge durch ein anspruchsvolles literarisches Programm, das durch qualitativ hochrangige Sprecherinnen und Sprecher aufs Beste vermittelt werde, so die Jury in ihrer Begründung. Die Entscheidung für den Diwan-Hörbuchverlag setze darüber hinaus ein Zeichen für eine literarische Landschaft, in der ganz unterschiedliche Rezeptionsweisen von Literatur möglich seien und neue Zugänge zu Autorinnen und Autoren eröffneten. Auf diesem Feld setze der Verlag von Tina Walz unübersehbare und unüberhörbare Wegmarken.
Ganz selbstverständlich war es wohl nicht, dass ein Hörbuchverlag in den Genuss der mit 12 500 Euro dotierten Auszeichnung kam – zuvor waren es »klassische« Buchverlage wie Das Wunderhorn und Klöpfer & Meyer, Ulrich Keicher, Persona, Konkursbuch oder Janßen. Die 13. Preisverleihung in der Stuttgarter Stadtbibliothek im Februar 2017 lief dann auch etwas anders ab als die früheren, nämlich akustisch dominiert mit Jazz-Standards und Lesungen von zwei »VerlagssprecherInnen«: Luise Wunderlich gab Kostproben aus Die Middlesteins von Jami Attenberg, Lutz Magnus Schäfer welche aus Mein Sommer in einem Garten von Charles Dudley Warner.
»Letztlich ging und geht es um Ton, Vertonung und die Magie des gesprochenen Wortes«, ist Tina Walz überzeugt, und die beiden Säulen dafür sind die Qualität der Texte und die der SprecherInnen; sie setzt weniger als viele der großen Hörverlage auf die aus Film und Fernsehen (Tatort) bekannten Schauspieler-Namen. Während sie ein Buch lese, erzählt sie, »höre« sie schon die dazu passende Stimme. Die kann natürlich auch mal Oliver Korittke, Jan Messutat, Jörg Pleva, Jürgen Tarrach oder Kai Wiesinger gehören, die Meine wichtigsten Körperfunktionen von Jochen Schmidt, Salzwasser von Charles Simmons, Die Umarmung von Martin Gülich und Reinhard Kaisers Königskinder eingelesen haben.
Ein Longseller des Verlags, nicht zuletzt als Pflichtlektüre für den Realschulabschluss, ist beispielsweise Meine Schwester Sara von Ruth Weiss, den Dietmar Schönherr und das World Quintet Kolsimcha präsentieren. Doch oft gehört die passende Stimme eben auch weniger bekannten SprecherInnen, die statt eines Namens den in den Ohren von Tina Walz geeigneten Sound mitbringen.
Musik – auch wenn sie natürlich sorgsam ausgewählt wird – spielt eher eine Rolle als Zäsur, für eine bestimmte Atmosphäre oder für Ruhephasen, denn die Diwan-Produktionen sind Hörbücher, nicht Hörspiele.
Das war schon das Konzept des Verlags gugis HörBücher, für den Tina Walz früher als Vertriebsleiterin und Lektorin arbeitete, bevor sie ihn übernahm und sich 2008 unter dem Label Der Diwan und mit einem anderen Erscheinungsbild ganz der Erwachsenenliteratur zuwandte. Mit dem Namen will sie nicht an Goethe erinnern, sondern angenehme Assoziationen an gemütliche Hörstunden auf Sofa, Chaiselongue oder eben Diwan auslösen.
Interessant ist, dass es vielfach die LeserInnen sind, die ein Buch toll finden und es nach der Lektüre gern noch einmal auf CD hören möchten oder zum Verschenken kaufen. Trotzdem sind die Auflagen im Vergleich zu früheren Jahren zurückgegangen, das entspricht den Erfahrungen bei gedruckten Büchern: Wo man früher eine Erstauflage mit drei- bis fünftausend Exemplaren ansetzte, sind es heute eher fünfhundert bis eintausend. Das betrifft den Verkauf – alle Titel sind bei den Barsortimenten gelistet oder können direkt beim Verlag bestellt werden –, denn angehört werden viele Hörbücher inzwischen über Streaming-Dienste und dort wegen der Abo-Modelle meistens gratis oder zu Cent-Beträgen. Für den Verlag, rechnet Tina Walz vor, bleiben dann bei 6000 Downloads/Streamings unter Umständen nur 150 Euro, während ein physisches Hörbuch um die 20 Euro kostet – die Produktionskosten für Studio, SprecherInnen etc. sind die gleichen.
Ob ihr Wunsch, wieder vom Verlegen leben zu können, statt zusätzlich mit Gesangsunterricht und Musiktherapie den Unterhalt zu verdienen, je in Erfüllung geht? Schön wäre es. Ihre Begeisterung lässt sich Tina Walz bestimmt nicht nehmen und kommt von Finanzierungsfragen schnell wieder auf Inhalte zu sprechen. Wie sie sich auf die Arbeit mit Josef Winkler freut, mit dem sie demnächst in Klagenfurt das dritte Hörbuch produzieren möchte, nämlich seine Neuerscheinung vom März Laß dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe. Gelesen hat er für den Diwan bereits die Romane Roppongi – Requiem für einen Vater und Mutter und der Bleistift.
Neben Josef Winkler hat bisher nur die Autorin Fee Katrin Kanzler ihr eigenes Buch gelesen, Sterben lernen, ungekürzt auf fünf CDs. In diesem Jahr folgen Klaus Modicks Sunset und Monika Helds Sommerkind.
Bereits lieferbar sind zwei sehr hörenswerte CD-Boxen: Natalia Ginzburgs Kurzroman Valentino plus fünf Erzählungen der italienischen Klassikerin (4 CDs) sowie Sissinghurst – Portrait eines Gartens (3 CDs) des schreibenden, gärtnernden Lebenskünstler-Paars Vita Sackville-West und Harold Nicholson, deren Motto uns allen zum Trost gereichen kann: »Lasst uns pflanzen und fröhlich sein, denn im nächsten Herbst sind wir vielleicht ruiniert.«
In ihrer Gartenleidenschaft – leider hat sie dafür selbst momentan zu wenig Zeit – folgte Tina Walz gern ein weiteres Mal dem Schöffling Verlag und produzierte den Gartenkrimi Giftiges Grün von Elsemarie Maletzke (gelesen von Constanze Wenig), der im 2. Quartal auch im Büchergilde-Katalog zu finden ist. Und aus dem die Wetterleuchten-Rätselfrage stammt: Welche Pflanze spielt die entscheidende Rolle in diesem Buch?
Eine weitere Neuheit in diesem Frühjahr ist das eingangs erwähnte »Und draußen weht ein fremder Wind …«, ein Buch über die von den Nazis in die Emigration nach Palästina, Amerika, Südafrika oder Shanghai getriebenen jüdischen Schriftstellerinnen, deren Tagebücher, Briefe, Gedichte und zahlreiche Dokumente Kristine von Soden zusammengetragen hat. Marit Beyer und Luise Wunderlich leihen Frauen wie Mascha Kaléko, Else Lasker-Schüler, Anna Seghers und Gabriele Tergit ihre Stimme. Musik strukturiert die 306 Minuten lange Lesung, ein 12-seitiges Booklet liefert interessante Fotos, Infos und auch Annoncen aus dieser Zeit. Die vielen Details, Namen und Daten benötigten eine vergleichsweise lange Aufnahmezeit, aber wegen zahlreicher Vorbestellung und Anfragen kann Tina Walz optimistisch sein, dass sich »Und draußen weht ein fremder Wind …« ordentlich verkaufen wird.
Immer weniger BuchhändlerInnen finden sich bereit, Hörbücher überhaupt ans Lager zu nehmen, und Hörbuch- und Hörspiel-Shops wie Audiamo in Berlin und in Wien sind eine Seltenheit.
Wie potenziell Interessierte überhaupt von Hörbüchern erfahren, will ich wissen, denn Rezensionen findet man in den Tages- und Wochenzeitungen selten. In den von vielen Sortimenten zweimal jährlich verteilten Kundenmagazinen wie »Bücherbaukasten / Erlesenes« haben sie eher eine Chance, vorzukommen. Und naheliegenderweise im Hörfunk, das heißt in einigen Sendern wie Deutschlandfunk Kultur, der zufällig gleichnamigen Sendung »Diwan« in Bayern 2 und auch beim WDR, wo immer ein »Hörbuch der Woche« gekürt wird, oder im HR 2, der eine Hörbuchbestenliste veröffentlicht, die größte Auszeichnung nach dem Deutschen Hörbuchpreis: Da wurde Der Diwan-Hörbuchverlag mehrmals platziert, mit Valentino und Sissinghurst sogar als Nummer 1. Auf solche Radiosendungen gibt es vielfach positive Reaktionen von HörerInnen.
Eine weitere Möglichkeit des Marketings sind Buchmessen und literarisch-musikalische Veranstaltungen. Beim diesjährigen Wetterleuchten im Stuttgarter Literaturhaus am 30. Juni ist sie wieder dabei, in Nachbarschaft von Elke Bader vom Stuttgarter Griot Hörbuch Verlag. In einem gemeinsamen Katalog stellen sie ihre Produktionen vor und zusammen präsentieren sie unter dem Slogan »Geht unter die Haut, nicht auf die Hüften« eine CD mit dem appetitlichen Titel Lieber Liebe als Schokolade. So viel sei verraten: Unter Tina Walz’ Regie entstand eine vielseitige Mischung mit 58 Tracks! Zwischen Passagen aus Platons Gastmahl und Barocklyrik, Gedichten von Hölderlin und Heine, Rose Ausländer und Nelly Sachs, Erich Fried, Robert Gernhardt und Clemens J. Setz, die Oliver Hermann liest, sind musikalische Ohrwürmer und Leckerbissen zu hören – ein amouröses Potpourri.
Schon am 6. Juni gibt es eine Sissinghurst-Lesung von Marit Beyer in dem Stuttgarter »Blumenladen« an der Olgastraße – gewiss ein ideales Ambiente zur Vorstellung des Diwan-Hörverlags.
Zum 3. Mal veranstaltet das Stuttgarter Literaturhaus den Sommermarkt der unabhängigen Verlage, diesmal mit 43 AusstellerInnen von Andere Bibliothek, Avant und AvivA bis Weidle, Weissbooks und Das Wunderhorn. Viele sind wieder dabei – zum Beispiel der Hirzel Verlag mit dem Grimmschen Wörterbuch und dem Literaturblatt, einige sind neu. Am Samstag, 30. Juni von 11 bis 20 Uhr können Interessierte in Büchern schmökern und sich für die bevorstehenden Sommerferien mit schöner Lektüre eindecken, gleichzeitig gibt es ein Veranstaltungsprogramm für Kinder, unter anderem mit Paul Maar, sowie Lesungen und Gespräche für Erwachsene. Den krönenden Abschluss bildet am Abend die Verleihung des 14. Baden-Württembergischen Kleinverlagspreises
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