Von Irene Ferchl
Die Namen Keun und Kolb werden kaum je in einem Atemzug genannt, geschweige denn ihre Romane parallel gelesen. Das zufällige gleichzeitige Erscheinen der Werkausgaben und eine unakademische, mal diese, mal jene Bände aufblätternde Lektüre bringt Unerwartetes zutage, sogar unvermutete Ähnlichkeiten. Bei beiden gibt es diesen unbestechlichen Blick auf die elegante Gesellschaft, auf Mitläufertum und Angepasstheit, spitzzüngig und mit entlarvendem Witz formuliert.
Annette Kolb und Irmgard Keun sind sich nicht begegnet. Aber wenn sie einmal zusammen an einem Caféhaustisch gesessen hätten, vielleicht im Pariser Ritz, in Wien oder Amsterdam, vor sich ein Likörgläschen, in der Hand eine Zigarettenspitze, wäre das Gespräch wohl darauf gekommen, wie man sich als Heimatlose durchschlägt im Exil, in prekären Verhältnissen, in Zeiten ohne festen Wohnsitz … wie herrlich so ein Pelzmantel ist, wenn man ihn denn endlich, nicht nur sich hineindenkend, besitzt …, wie stolz sie auf ihre beiden erfolgreichen Debüts waren … und sie hätten über ihre kleinen Schwindeleien gekichert, darüber, dass sie sich beide einmal fünf Jahre jünger gemacht hatten … Und natürlich, wie ihre persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen in die Romane eingeflossen sind, die bei allen Unterschieden (auch 35 Jahre Altersunterschied) ganz auf der Höhe der Zeit sind, voller Ironie und Anmut und immer von politischem Bewusstsein, von geradliniger Haltung grundiert.
Die Bände der Werkausgaben sind streng chronologisch aufgebaut und nach Epochen eingeteilt, zeithistorisch bei Keun: Weimarer Republik, NS-Deutschland und Exil, Nachkriegszeit und Bundesrepublik, lebens- und werkgeschichtlich bei Kolb: Europas unsterbliche Blamage, Eine trügerische Ruhe, Inmitten der unheimlichsten Geschichte, Memento. Sie werden jeweils von einem Essay eröffnet und von den HerausgeberInnen detailliert kommentiert, samt Worterklärungen und Rezensionen der Zeit. In den jeweils letzten Bänden findet man etwas versteckt kurze Zeittafeln, dazwischen einige Fotos. Was ich mir gewünscht hätte: ein bisschen Glamour in der Ausstattung – die beige-bräunlichen Einbände und grauen Lesebändchen wirken doch sehr unscheinbar für zwei der wichtigsten Schriftstellerinnen des frühen 20. Jahrhunderts.
»Ich habe etwas zu sagen«
»Ob sie euch noch etwas zu sagen haben wird, wenn sie tot ist«,
formuliert Annette Kolb in einem Selbstportrait für einen
Quartaner, »das sind Fragen, die nur ihr werdet beantworten können.
Ihr werdet also mehr über sie wissen, als sie selbst. Aber was sie
besser weiß als ihr: sie hat sich, obwohl ihre Bücher nicht eben
zahlreich sind, sehr geplagt. Sie hat es sich nicht leicht gemacht,
am wenigsten mit dem Schreiben. Zum Schreiben drängte sie nicht das
Talent, sondern ihre Meinungen.«
Die Musik liebte sie mehr als
Bücher, hätte vielleicht Pianistin werden können wie ihre Mutter,
doch nach einigen Jahren des Übersetzens und kleinerer Beiträge
für Zeitschriften erschien 1913 ihr Roman Das Exemplar und wurde
gleich mit dem erstmals vergebenen Fontane-Preis ausgezeichnet. Zu
Beginn des Ersten Weltkrieges hielt Kolb eine pazifistische Rede,
wurde in der Presse angegriffen und schikaniert, so dass sie in die
Schweiz emigrierte; ihre politische Haltung reflektierte sie 1916 in
den Briefen einer Deutsch-Französin und wenig später knapp und
hellsichtig: »Mein Leben wird letzten Endes vor allem die
Geschichte eines Gedankens gewesen sein, der einer
deutsch-französischen Verbrüderung, deren Zusammenbruch ich
erfahren mußte, auf deren Verwirklichung aber für mich das Heil
Europas, also auch der Welt beruht.«
1923 bezog Annette Kolb in ein eigenes Haus in Badenweiler neben
dem von René Schickele, reiste viel, veröffentlichte Erzählungen,
Skizzen, Feuilletons und politische Aufsätze. Ebenfalls bei S.
Fischer kamen 1928 und 1934 die Romane Daphne Herbst und Die
Schaukel heraus; Letzterer stand sofort auf der Liste verbotenen
Schrifttums. Annette Kolb war, nach kritischen Bemerkungen im
Hörfunk gewarnt, bereits im Februar 1933 nach Paris gegangen. Die
dritte Flucht gelang ihr dann 1941 nach New York, trotz zahlreicher
Hindernisse. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sie in ihre
Heimatstadt München zurück, dort starb sie 1967
hochbetagt.
Annette Kolb mit Genuss zu lesen, bedarf ein wenig
des geduldigen Einlassens auf die »eigenwillige Handschrift, den
wohlbekannten Tonfall mit den kleinen rhetorischen Gallizismen, die
bei ihr oft wie die Flügel gefiederter Putten wirken«, so Hermann
Hesses Lob des Romans Die Schaukel, der in Wirklichkeit die
Geschichte ihrer Familie und der Münchner Gesellschaft im Fin de
Siècle ist. Er eignet sich ideal zum Kennenlernen dieser großen
Schriftstellerin, der Joseph Roth mit Handkuss bescheinigte: »das
können Sie, mit Weisheit tanzen!«
»Ich will so ein Glanz werden« …
»Und ich denke, daß es gut ist, wenn ich alles beschreibe, weil ich ein ungewöhnlicher Mensch bin. Ich denke nicht an Tagebuch – das ist lächerlich für ein Mädchen von achtzehn und auch sonst auf der Höhe. Aber ich will schreiben wie Film, denn so ist mein Leben und wird noch mehr so sein. Und ich sehe aus wie Colleen Moore, wenn sie Dauerwellen hätte und die Nase mehr schick ein bißchen nach oben. Und wenn ich später lese, ist alles wie Kino – ich sehe mich in Bildern. Und jetzt sitze ich in meinem Zimmer im Nachthemd, das mir über meine anerkannte Schulter gerutscht ist, und alles ist erstklassig an mir – nur mein linkes Bein ist dicker als mein rechtes. Aber kaum. Es ist sehr kalt, aber im Nachthemd ist schöner – sonst würde ich den Mantel anziehn.«
Der Anfang von Irmgard Keuns berühmtestem Roman, Das
kunstseidene Mädchen, überzeugt auf Anhieb in seiner raffinierten
Naivität, in seiner quirligen Stimmung der »Wilden
Zwanziger«.
Seiner jungen Autorin bescherte er Erfolg beim
Publikum, Lob von Seiten der Kritik – »Eine schreibende Frau mit
Humor, sieh mal an! Hurra! hier ist ein Talent«, befand Kurt
Tucholsky –, und sofortiges Verbot durch die Nazis als
»schädliches und unerwünschtes Schrifttum«. Bevor sie 1931 mit
Gilgi, eine von uns debütierte, war Irmgard Keun Stenotypistin und
Schauspielerin gewesen, nun kämpfte sie mit subtil die politischen
Zustände entlarvenden Texten: »Man schrieb noch, aber man wusste
nicht mehr recht, wie ein kämpferisches Buch der Sache gegen Hitler
noch dienen konnte.«
Keun klagt gegen die Beschlagnahme ihrer
Bücher, stellt einen Antrag auf Aufnahme in die
Reichsschrifttumskammer, beides wird abgelehnt. Im Mai 1936
emigriert sie nach Ostende, zieht mit Joseph Roth durch Europa, die
Ausreise in die USA misslingt. 1940 melden die Zeitungen den
Selbstmord Irmgard Keuns, worauf sie unter fremden Namen illegal in
Deutschland untertaucht. Nach Kriegsende bricht sie zusammen – sie
hatte zeitlebens Probleme mit dem Alkohol –, kann aber für den
Rundfunk arbeiten und Satiren in Zeitschriften veröffentlichen.
1950 erscheint ihr letzter Roman, Ferdinand, der Mann mit dem
freundlichen Herzen. Wiederentdeckt wird sie dann in den späten
70er Jahren; Ursula Krechel führt ein Interview mit der
verschollenen Autorin, nun im einführenden Essay der Werkausgabe
nachzulesen. Endlich scheint Irmgard Keun angekommen zu sein, die
Kassette wird vielfach besprochen, die erste Auflage ist bereits
vergriffen, die zweite im Druck. Man kann es als eine späte
Wiedergutmachung sehen, vor allem als Gelegenheit, sie mit ihren
Romanen, Satiren und Feuilletons, mit ihrem ganzen Witz und Glanz
kennenzulernen.
Zum Weiterlesen:
Irmgard Keun, Das Werk. Hrsg. von Heinrich Detering und Beate Kennedy mit einem Essay von Ursula Krechel. 3 Bände mit 2044 Seiten, 39,80 Euro
Annette Kolb, Das Werk. Hrsg. von Hiltrud und Günter Häntzschel mit einem Essay von Heinrich von Schirnding. 4 Bände mit 2260 Seiten, 49 Euro
Bibliothek Wüstenrot Stiftung. Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Wallstein Verlag, Göttingen 2017