Unbekannte Meisterwerke – Bildende Künstler, Bücher und Literatur

Von Irene Ferchl

Im November 1931, genau ein Jahrhundert nach der Veröffentlichung von Honoré de Balzacs Novelle, erschien die von Picasso illustrierte Ausgabe von Le chef-d‘?uvre inconnue, auf Deutsch Das unbekannte Meisterwerk. Kein anderes von ihm herausgegebene Buch habe solch große Beachtung bei den Sammlern gefunden ud sei aufgrund seiner besonderen Schönheit so berühmt geworden, schreibt der Kunsthändler und Verleger Ambroise Vollard. Auf seine Anregung hin hatte sich Picasso seit 1926 mit der Erzählung beschäftigt, dann jedoch keineswegs den Handlungsverlauf begleitende Radierungen geliefert, wie bei Ovids Metamorphosen oder Aristophanes’ Lysistrata. Im Gegenteil: Picasso schuf lediglich dreizehn Originalradierungen – neun davon umkreisen das Thema Maler und Modell – und gab Vollard außerdem vier seiner Skizzenbücher zum Auswählen. So enthält das großformatige Werk ebenso wie das handliche Bändchen der Insel-Bücherei Punkt-Strich-Zeichnungen, Zeichnungen im »klassischen Stil« und eine Fülle von Tuschzeichnungen und Doppelgesichtern, die als Autotypien oder Holzschnitte wiedergegeben sind, insgesamt also fast hundert Illustrationen in vier verschiedenen Arten. Picasso selbst äußerte sich Jahrzehnte später, er habe nie etwas illustriert, sondern: »Es sind Dinge von mir, die man einem Text beigegeben hat, dem sie mehr oder weniger ähnelten.«

Man könnte also den Eindruck gewinnen, dass diesem Werk ein Konzept fehlt, doch es ist eine denkbar kongeniale Ergänzung zu Balzacs Text. Im Paris des 17. Jahrhunderts begegnen darin der junge Maler Nicolas Poussin und der arrivierte flämische Porträtist Frans Porbus dem alten (einzig fiktiven) Künstler Frenhofer, der seit zehn Jahren an einem Frauenbildnis malt. Als er die Leinwand schließlich vor den Kollegen enthüllt, sehen diese nur ein Gewirr von Linien und Farbschichten. Frenhofer erkennt, dass seine Absolutheitsanspruch für andere unverständlich sein muss. Für seine Überzeugung »der Auftrag der Kunst besteht nicht darin, die Natur nachzuahmen, sondern sie auszudrücken«, ist die Zeit noch nicht reif. Er zerstört das unbekannte Meisterwerk und stirbt.

Balzac, der sich mit Kunsttheorien beschäftigt hat, scheint hier eine moderne Ästhetik zu prophezeien, die er nicht kennen konnte. Picasso setzt dagegen sein ganzes vielgestaltiges Können und trifft mit seinen Atelierszenen, insbesondere jener mit dem strickenden Modell und dem Linienknäuel des Malers, genau Frenhofers Obsession: darstellen zu wollen, was nicht darstellbar ist.

Zu Recht verspricht die Ausstellung in der Göppinger Kunsthalle mit der Werkschau »Pablo Picasso und die Literatur« eine andere, wenig bekannte Facette und die Neuentdeckung eines Genies.

Ebenfalls von der Kunsthalle Göppingen kuratiert, jedoch in der Galerie im Ostflügel auf Schloss Filseck ausgestellt, sind die »Dichterportraits« von Günter Schöllkopf (1935 bis 1979) und Eckhard Froeschlin, der 1953 am Bodensee geboren wurde und heute bei Sigmaringen arbeitet. Die Kunst der Radierung verbindet die beiden Künstler ebenso wie ihr Interesse an der Literatur. Froeschlins Künstlerbücher und seine lebensgroßen Porträts – etwa von Friedrich Hölderlin oder Jorge Luis Borges – sind meist farbig, in komplizierten Montageverfahren hergestellt; einen frühen Zyklus widmete er Nikodemus Frischlin, in der neueren Grafikmappe zu zehn Dichtern von Artaud bis Pound versammelt er deren Bildnisse mit schön gesetzten Textpassagen in bis zu vier Sprachen.

Schöllkopf hingegen ritzte Kommentare und Zitate handschriftlich in die Radierplatten, sogar die ganze »Ode to the West Wind« von Percy Bysshe Shelley, etwas schief manchmal oder mit einem Verschreiber, aber gut lesbar und sehr eindrücklich. Die Filsecker Ausstellung zeigt Werkgruppen und Einzelblätter zu seinen Lieblingsschriftstellern – und davon hatte er nicht nur viele, sondern auch höchst unterschiedliche: Heinrich Heine und Stendhal, Franz Kafka und Thomas Mann, William Blake und James Joyce (siehe dazu auch Literaturblatt 5/2014). Er scheute sich nicht, einen Club der toten Dichter in ein »Narrenschiff« zu setzen – naheliegend Sebastian Brant, neben ihm Dylan Thomas, Jonathan Swift, D. H. Lawrence, Egon Erwin Kisch sowie im Bug Joyce und im Heck Luther. Über dieses eigenwillige Zusammentreffen über alle Grenzen hinweg lässt sich trefflich rätseln.

Erwähnt sei, dass Schöllkopf zahlreiche Bücher illustriert hat, neben Shakespeares Sommernachtstraum, Voltaires Candide, Geschichten von Charles Dickens, Guy de Maupassant und Oscar Wilde vor allem mehrere Werke von Thaddäus Troll (Deutschland deine Schwaben, Preisend mit viel schönen Reden und Tafelspitz). Seltsamerweise geben sie nicht preis, dass ein spöttischer Gaukler und empfindsamer Moralist sie gezeichnet hat – zwischen seiner Auftragsarbeit als Illustrator für Bücher und Zeitungen und seiner eigentlichen Arbeit hat Schöllkopf genau unterschieden, auch wenn sich die Bereiche sicher gegenseitig beeinflusst oder sogar beflügelt haben. Geschweige denn, dass die Illustrationen den intellektuellen Spieler und Flaneur im Pantheon der Literatur und abendländischen Kulturgeschichte verraten, der er ja vor allem war.

Ernst Würtenberger, geboren 1868 in Steißlingen, ist hauptsächlich durch seine Porträts bekannt, die in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in seiner Zürcher Zeit entstanden. Von 1921 bis zu seinem Tod 1934 war er Professor für Holzschnitt, Illustration und Komposition an der Landeskunstschule in Karlsruhe. Die Städtische Wessenberg-Galerie und das Hesse Museum widmen seinem Werk nun zwei Ausstellungen: In Konstanz liegt der Fokus auf den Schweizer Jahren, in Gaienhofen geht es um den Künstler Würtenberger und die literarische Szene rund um den Bodensee. Dort wird er auch als Illustrator vorgestellt, der neben Federzeichnungen insbesondere den Holzschnitt verwendete. 1918 erschien im Kurt Wolff Verlag Gottfried Kellers Die drei gerechten Kammacher mit acht hintergründig humorvollen Holzschnitten von ihm, es folgten Illustrationen zu Romeo und Julia auf dem Dorfe und Ulrich Bräkers Lebensgeschichte und natürliche Abentheuer des armen Mannes im Tockenburg, deren »Wahrhaftigkeit und tiefe Lebenserfassung« von Zeitgenossen gelobt wurde. Bekannt sind auch Würtenbergers Buchumschläge, etwa zum Alemannenbuch, das Hermann Hesse 1919 herausgegeben hat.

Peter Paul Rubens’ gewaltiges Lebenswerk umfasst dramatische Bilderzählungen, sinnliche Porträts und Akte, Altar- und Genrebilder, alles in großer Üppigkeit, wie die aktuelle Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien zeigt; im Februar geht sie ins Städelmuseum nach Frankfurt. Eine unmittelbare Wirkung, sei es spontane Bewunderung oder ebensolche Ablehnung üben auch die buchkünstlerischen Arbeiten von Rubens aus – allerdings haben sie bis heute kaum eine ihnen gebührende Beachtung gefunden. 58 Buchillustrationen, Titelblätter und Verlagssignets sind bekannt und werden in dem Katalogbuch mit dem Titel Sinnbild – Bildsinn von Nils Büttner und Gitta Bertram erstmals vollständig bibliografisch erfasst und ausführlich beschrieben, ein Gutteil davon ist im Rahmen der Stuttgarter Antiquariatsmesse Ende Januar im Württembergischen Kunstverein zu sehen.

Peter Paul Rubens (1577–1640) besaß für einen Künstler eine beeindruckende Bibliothek von mehr als 500 Titeln und war für seine Bildung bekannt; der umfangreiche Briefwechsel, den er mit Gelehrten in aller Welt führte, war gespickt mit klassischen Zitaten und literarischen Anspielungen. Er hatte wohl Vergnügen an schöner Ausstattung und leistete gern seinen Beitrag dazu, allerdings für ein »nicht unbeachtliches Gehalt« von acht bis zwanzig Gulden je nach Format. Mit seinen Illustrationen erreichte er ein wesentlich größeres Publikum als selbst mit den Gemäldekopien und konnte – so Gitta Bertram – «aufzeigen, mit welcher Leichtigkeit er auch schwierig darzustellende Sachverhalte mit einer klaren Bildsprache zum Ausdruck brachte«.

Die frühesten Illustrationen entstanden 1609 für ein Buch seines Bruders Philipp über das Leben im antiken Rom und begründeten eine lebenslange Zusammenarbeit mit dem Verleger Balthasar Moretus; über die Hälfte der buchkünstlerischen Arbeiten entwarf Rubens für dessen Antwerpener Officina Plantiniana, so auch 1611 das erste Titelblatt für ein numismatisches Werk.

Er bezog sich durchaus auf Traditionen wie die schon früher verwendeten architektonischen Formen als strukturierendes Element: eine Steinplatte, ein Tuch oder eine Pergamentrolle in der Mitte trugen den Titel, drumherum war Platz für Säulen, Tore und Bögen, Figuren, Wappen, Vignetten etc. Obwohl Rubens die Entwürfe dem Thema des Buches anpasste, wurden die Kupferplatten nicht selten für ähnliche Werke wiederbenutzt – den großen grafischen Reiz seiner Bilderfindungen haben die Zeitgenossen ebenso geschätzt wie heutige Betrachter.

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Die Ausstellungen:

Dichterportraits – Günter Schöllkopf und Eckhard Froeschlin. Bis 18. Februar. Galerie Schloss Filseck

Der Künstler Ernst Würtenberger und die literarische Szene. Bis 6. Mai. Hesse Museum Gaienhofen

(Zu dieser und der parallel in der Konstanzer Wessenberg-Galerie gezeigten Ausstellung über »Ernst Würtenberger. Ein deutscher Maler in der Schweiz« erscheint ein Katalog im Nimbus-Verlag)

Pablo Picasso und die Literatur.  Bis 28. Februar. Kunsthalle Göppingen

Sinnbild – Bildsinn. Rubens als Buchkünstler. 26. bis 28. Januar. 57. Stuttgarter Antiquariatsmesse im Württ. Kunstverein, Stuttgart

Die Vorträge:

Was taugt dem Künstler das Buch? Stefan Soltek, Leiter des Klingspor Museums Offenbach, spricht über unterschiedliche Konzepte u.a. von Slevogt und Liebermann, Matisse und Picasso, Werkman und Grieshaber. Am 22. Januar, 20 Uhr im Literaturhaus Stuttgart.

Sinnbild – Bildsinn: Nils Büttner, Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, stellt »Rubens als Buchkünstler« vor. Am 27. Januar , 18.30 Uhr im Württ. Kunstverein.

Zum Weiterlesen:

Honoré de Balzac, Das unbekannte Meisterwerk. Aus dem Französischen von Herma Goeppert-Frank. Herausgegeben von Sebastian Goeppert und Herma Goeppert-Frank. Mit Illustrationen von Pablo Picasso. Insel-Bücherei Nr. 1031. 154 Seiten, 14,95 Euro

Gitta Bertram und Nils Büttner, Sinnbild – Bildsinn. Rubens als Buchkünstler. Verband Deutscher Antiquare e.V. und Staatliche Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart 2018. 208 Seiten, 30 Euro