Von Irene Ferchl
Üblicherweise illustrieren
Künstler und Grafiker literarische Vorlagen oder es schreiben
Autoren über Gemälde und Skulpturen. Das Nacheinander und die
Präsentationsform führen zu einer gewissen Hierarchisierung: Wer
hat wen inspiriert, welches Kunstwerk bestand zuerst, in welchem
Kontext, welcher Gestalt erreicht es die Öffentlichkeit – als
Publikation oder in einer Ausstellung?
Um eine möglichst
gleichberechtigte Korrespondenz von Bild und Schrift herzustellen,
bedarf es also einer direkteren Kommunikation, eines sensiblen
Eingehens aufeinander – zunächst aber der Initiative desjenigen,
der die Künstler verschiedener Sparten in Kontakt bringt.
Vor
über zwölf Jahren formulierte Gerhard Hartmann sein Konzept zum
Aufbau einer tatsächlich einzigartigen Sammlung: Es sieht vor, zu
jeder Autorenarbeit die Zeichnung eines Künstlers anzuregen, um
einen künstlerischen Dialog herzustellen. Mit dieser Idee und dem
ihm eigenen Charme trat er an Harald Weigel, den Direktor der
Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz, heran, denn Hartmann
wollte von vornherein die Exponate nicht selbst besitzen, sondern
sie als Gesamtes von der Bibliothek bewahren lassen und dem Publikum
zur Verfügung stellen.
Gemeinsam mit seiner Frau
Brigitte hatte Gerhard Hartmann seit den 1970er Jahren eine der
umfangreichsten Sammlungen von europäischer Druckgrafik nach 1945
zusammengetragen, die mit über 3000 Einzelblättern inzwischen als
Dotation in der Städtischen Galerie Albstadt beherbergt ist,
dort immer wieder in Ausstellungen gezeigt und Katalogen
dokumentiert wird. Hartmanns besondere Vorliebe galt dem Informel:
»Ich kann darin sehen, was ich will«, hatte er zur Begründung
einmal gesagt. Ein wenig scheint diese ihm damals liebste
Kunstrichtung auch in der jetzigen Auswahl der KünstlerInnen eine
Rolle zu spielen: Die trifft er persönlich, während er bei den
Literaten auf den Rat und die Empfehlung von Fachleuten aus der
Vorarlberger Bibliothek oder seinem Bekanntenkreis hört – und
dann mit feinem Gespür die zueinander passenden Partner aus beiden
Genres findet.
Schon die Grafiksammlung war seinerzeit
wesentlich im persönlichen Kontakt zu den Künstlern entstanden,
ohne Vermittlung durch Galerien oder Auktionshäuser, und so nur dem
eigenen Geschmacksurteil verpflichtet.
»Unikat muss
schon sein«
Seit 2001 widmet sich das Ehepaar Hartmann
nun also dem Aufbau ihrer neuen Sammlung, die derzeit rund 1500
Blätter umfasst, vornehmlich Arbeiten auf Papier, aber mittlerweile
auch Kassettenwerke und Arbeiten auf Holz und Leinwand, sogar
Skulpturen aus Stein und Keramik, Objekte wie Druckstöcke oder
Speerspitzen. Betreut werden all diese Exponate von Jürgen Thaler
im Franz-Michael-Felder-Archiv der Vorarlberger Bibliothek, der in
seinem Katalogbeitrag den strikt vorgegebenen Prozess des Sammelns
folgendermaßen beschreibt: »Zunächst fällen Brigitte und Gerhard
Hartmann eine Entscheidung für einen Schriftsteller und bitten
diesen um handgeschriebene Blätter. Zu diesen Blättern suchen sie
den ihrer Meinung (und vor allen auch ihrer Erfahrung) nach
geeigneten bildenden Künstler aus. Dieser erhält die
handschriftlichen Blätter mit der Aufforderung, zu diesen Blättern
korrespondierende Arbeiten herzustellen.«
Ute Hübner vom
Hermann-Hesse-Höri-Museum in Gaienhofen ergänzt: »Der Künstler
hört der Dichtung zunächst zu und vertieft sich in eine
spezifische Frage nach der Realität des Darzustellenden. Durch das
zusätzliche Kommunizieren und Kommentieren über die Schrift
beziehungsweise die Schriftbilder entsteht etwas Neues, er erfolgt
eine grafische, zeichnerische oder malerische Reflexion auf den
Text. Verschiedene Stufen der Annäherung zeigen sich, von
flüchtigen Notationen einer Bildidee über inhaltliche Bezüge von
Zeichen zu Bezeichnetem bis hin zur Umsetzung konkretisierter
Bildvorstellungen. Eine Fülle von Zugängen, aber auch von
Reibungsflächen zeigen sich in jenem inszenierten Zusammenspiel von
Text und Bild.«
Wie verschieden sich dieses Zusammenspiel
schließlich äußert, machen unsere abgebildeten Beispiele
deutlich, treffen doch die unterschiedlichsten Temperamente,
Textarten, Themen und Techniken aufeinander. Im Grunde zeigen die
Blätter und Objekte, wenn nicht die gesamte, so doch eine große
Bandbreite zeitgenössischer Literatur und Kunst und gerade die
Disparität ist es, die der Sammlung Hartmann Aktualität und
Aufmerksamkeit verschafft.
Die eigene Handschrift, den
persönlichen Duktus wird in diesem Kunstzusammenhang wohl kaum
jemand verbergen können – auch diese Offenheit macht die Qualität
der Arbeiten aus, neben der Faszination, die offenbar gerade im
digitalen Zeitalter von Autografen ausgeht. Denn, so Hartmann
einmal: »Der Text ist nicht nur Aussage, er zeigt sich auch als
Schrift-Bild. So entstehen zwei Bilder, Schriftbilder und
Figuren-Bilder. Inwieweit ein Bild gegenüber dem anderen Bild sich
behaupten kann, liegt im ausgeprägten Duktus des jeweiligen. Da
kann durchaus auch das Schrift-Bild das stärkere sein.«
»Man
arbeitet an der Unsterblichkeit«
Nicht wenige bekannte
Namen finden sich unter den SchriftstellerInnen wie unter den
KünstlerInnen, doch ist Prominenz kein Auswahlkriterium für
Gerhard Hartmann.
Manche Paare sind miteinander vertraut wie
Vater und Tochter: Martin Walser, der in seinem »Selbstportrait«
das Unschuldstier spielt und von Alissa mit einer Riesenohrzunge
ausgestattet wird. Christian Futscher & Uwe Schloen arbeiteten
an den Collagen gemeinsam und bei dem Dialog zwischen den
japanischen Schriftzeichen von Yoko Tawada und dem zarten Aquarell
von Setsuko Ikai möchte man eine Wahlverwandtschaft mindestens
annehmen.
Der Wiener Künstler Wolfgang Stifter hat mehrere
Male auf Texte von Friederike Mayröcker reagiert, in unserer
Abbildung auf ihre Erinnerung an einen Abend: »EJ [Ernst Jandl] und
ich im Café Hawelka«; Jürgen Brodwolf hat sich mit der Lyrik von
Rainer Kunze und Peter Härtling befasst; Madeleine Heublein
begleitet mit figurativen Tuschezeichnung Gedichte von Günter
Kunert, etwa seinen Vierzeiler: »Den Fischen das Fliegen /
Beigebracht. Unzufrieden dann / Sie getreten wegen des / Fehlenden
Gesangs«.
Die Begeisterung des Sammlers wirkt ebenso
ansteckend wie die Idee: SchriftstellerInnen und KünstlerInnen
beteiligen sich in der Regel spontan gern an diesem einmaligen
Projekt, einige haben auch Spaß an Hartmanns anderer Liebhaberei
gefunden, der inzwischen betagten Papageiendame Coco zu
Unsterblichkeit zu verhelfen, die Haustier, Maskottchen und
mittlerweile auch ein Objekt der Künste vor allem auf Ex libris
geworden ist. Hartmann hat sich jüngst sogar eine Schreibmaschine
gekauft, um die Geschichte von Coco aufzuschreiben … Seit vierzig
Jahren begleitet sie die Familie, lebte mit ihr in Karlsruhe, wo
Gerhard Hartmann als Gebrauchsgrafiker tätig war, jetzt in Lindau.
Von dort kann der bald 85-Jährige (am 2. Januar ist der runde
Geburtstag zu feiern) mit dem Fahrrad nach Bregenz fahren, wenn im
Felder-Archiv etwas zu seiner Sammlung zu besprechen ist.
Ausstellungen waren im Bregenzer Palais Thurn und Taxis 2006, in den
Jahren danach in der Stadtbibliothek Heilbronn, dem StifterHaus in
Linz, dem Wiener Literaturhaus und dann 2012 im
Hermann-Hesse-Höri-Museum in Gaienhofen und in der Vorarlberger
Landesbibliothek zu sehen. In diesem Jahr zeigt das Literaturmuseum
Romantikerhaus in Jena vom 17. Juni bis 30. September eine Auswahl
von Manuskripten und bildnerischen Arbeiten aus der Sammlung
Hartmann, dann soll auch der nächste, derzeit in Bregenz
entstehende Katalog über die Kassettenwerke präsentiert werden.
Er wolle nicht übertreiben, meint Hartmann mit verschmitztem
Understatement auf die Frage, wie viele Künstlerpaare er denn
bereits zusammengeführt habe, 150 seien es wohl schon, und fügt
hinzu, derzeit sei er in Kontakt mit Angelika Overath, Peter Rosei,
Jens Sparschuh, Moritz Rinke und Eugen Gomringer. Es geht also
weiter.
Zum Weiterlesen:
gedichtet
gezeichnet. dichter und künstler im dialog. die sammlung hartmann.
Hrsg. von der Voralberger Landesbibliothek, Bregenz. Wolfgang
Neugebauer Verlag, Feldkirch / Graz 2006
Im Auftrag
der Schrift. Die Sammlung Hartmann. Hrsg. von Jürgen Thaler /
Voralberger Landesbibliothek. Mit Aufsätzen von Jürgen Thaler,
Rüdiger Görner, Ute Hübner und Michaela Nicole Raß. Kehrer
Verlag, Heidelberg / Berlin 2012. 240 Seiten mit zahl. Farbabb.,
34,90 Euro