Von Sabine Fischer
Noch immer wird sie als aufopfernd liebevolle Gattin und treusorgende Mutter an der Seite des Weimarer Klassikers gesehen: Charlotte Luise Antoinette von Lengefeld, die trotz anfänglicher Selbstzweifel als 22-Jährige Friedrich Schiller ihr Jawort gegeben hat. Äußerst gebildet sei sie gewesen, doch zugleich, und insbesondere im Gegensatz zu ihrer geistreichen, temperamentvollen Schwester Caroline, eher sanft und auch ein bisschen farblos – eine Einschätzung, die zuletzt 2014 publikumswirksam in Dominik Grafs klischeehafter Verfilmung »Die geliebten Schwestern« in Szene gesetzt worden ist.
Dabei kann seit nun bald zwanzig Jahren in Gaby Pailers wegweisender Monografie Charlotte Schiller. Leben und Schreiben im klassischen Weimar nachgelesen werden, dass sich Schiller keinesfalls mit der unbedarfteren Hälfte eines in vieler Hinsicht anregenden Schwesternpaars zufriedengegeben hat. Er wählte vielmehr, ebenso verliebt wie überlegt, eine Gefährtin, die seinem Herzen eine Heimat, seiner Alltagsexistenz einen häuslichen Rahmen und seiner literarischen Arbeit ein verständiges Gegenüber bot. Denn die vor nunmehr 250 Jahren am 22. November 1766 in den thüringischen Landadel geborene und für ein Leben als Hofdame erzogene Aristokratin gehörte zu denjenigen, die im späten 18. Jahrhundert neue Lebens- und Gesellschaftsentwürfe nicht nur diskutierten. Während sich ihre Mutter darum bemühte, im heimischen Rudolstadt eine standesgemäße Versorgungsehe einzufädeln, sehnte sich Charlotte nach einer Existenz jenseits kleinstädtischer Enge. Die Verbindung mit einem der geistigen Elite zugehörigen Dichter, einem zwar bürgerlichen, doch immerhin bereits berühmten, musste dafür die schönsten Aussichten eröffnen. Auf das heimliche Verlöbnis der Verliebten konnte dank im Hintergrund (vor allem auch der finanziellen Absicherung wegen) eifrig gezogener Fäden Anfang Februar 1790 eine Heirat folgen, die anfangs gar unter dem Vorzeichen eines die unglücklich verheiratete Schwester einbeziehenden Dreiecksbunds gestanden hat.
Frau Hofrätin Schiller, die seit 1802 wieder ein „von“ im
Namen führen durfte, gab allerdings die Hoffnung auf weibliche
Entwicklungschancen jenseits tradierter Rollenmuster später wieder
auf. Ihre Töchter hat sie entsprechend konventionell erzogen. Sie
selbst aber hat zeitlebens Gedichte und Erzählungen geschrieben,
Romane konzipiert, Dramatisches entworfen und aus dem Englischen wie
Französischen übersetzt. Von Schiller sind ihre Schreibversuche
mit konstruktiver, wenn auch ein wenig lehrmeisterlicher Kritik
begleitet worden. Immerhin fünf ihrer Erzählungen hat er – unter
Pseudonym – veröffentlicht.
Im Unterschied zur älteren
Schwester Caroline, die mit ihrem Roman Agnes von Lilien eine
gewisse Berühmtheit erlangte, wird Charlotte Schiller erst in
letzter Zeit als eigenständige Autorin ernstlich wahrgenommen.
Unberücksichtigt blieb lange auch, dass sie zu den wenigen Menschen
neben Goethe und Wilhelm von Humboldt zählte, an die Schiller
dachte, wenn er schrieb. Ebenso registrierte man nur nebenbei, dass
Charlotte während der schweren Krankheitszeiten ihres Mannes dessen
Korrespondenz geführt und mit Verlegern verhandelt hat und dass es
der Witwe gelang, die Cotta'sche Verlagsbuchhandlung über ein
alleiniges Publikationsrecht auf lange Sicht dem schillerschen Werk
und damit ihrer Familie als (nicht nur) finanzielle Stütze zu
verpflichten.
Dass Charlotte Schiller zum Inbegriff der mustergültigen Dichtergattin wurde, lag nicht nur am bürgerlichen 19. Jahrhundert, das für seine Vorstellung von idealer Weiblichkeit nach exemplarischen Vorbildern suchte. Eine zentrale Rolle spielte dabei auch das jüngste der vier Kinder, die wenige Monate vor Schillers Tod geborene zweite Tochter Emilie. Denn Emilie, von ihrer Mutter in besonderem Maße auf das väterliche Erbe eingeschworen, fühlte sich zwar vor allem für den schriftlichen Nachlass ihres Vaters verantwortlich. Sie war aber ebenso entschlossen, für die Frau an Schillers Seite einen Platz im hellen Licht der Öffentlichkeit zu erobern.
Als Charlotte Schiller 1826 im Alter von 60 Jahren unerwartet starb, stand allerdings zunächst anderes im Vordergrund. Bis dahin hatten Mutter und Tochter zusammen in Weimar gelebt. Nun zog Emilie, nach der Heirat mit Adalbert von Gleichen-Rußwurm, einem Patensohn ihres Vaters, ins Unterfränkische und kümmerte sich fürs erste um den heruntergewirtschafteten Stammsitz der Familie und um ihr einziges Kind. Seit den 1840er Jahren jedoch begann sie in die Nachlassverwaltung einzugreifen. So sorgte Emilie für eine Neuauflage der 1830 erschienenen Schiller-Biografie von Charlottes Schwester Caroline von Wolzogen, veröffentlichte 1856 die Liebesbriefe ihrer Eltern und war 1859 Mitherausgeberin des Materialbands Schiller's Beziehungen zu Eltern, Geschwistern und der Familie von Wolzogen. Geschickt nutzte Emilie die enorme Begeisterung rund um die Schiller-Festlichkeiten zum 100. Geburtstag im Jahr 1859 aber auch, um der Nachwelt die Gattin des gefeierten Dichters zu präsentieren: Unter dem Titel Charlotte von Schiller und ihre Freunde setzte sie bei Cotta in drei schwergewichtigen Bänden die Herausgabe der literarischen Schriften und Briefwechsel durch. Und ohne Rücksicht auf ursprünglichen Entstehungskontext und Bedeutungsgehalt ließ sie die in ihrem Besitz befindlichen Charlotten-Porträts publizieren: eine anmutige Jugendsilhouette als Auftakt zum ersten Band von Charlottes literarischen Schriften, eine unmittelbar vor der Hochzeit entstandene, kleine Profilzeichnung der Braut in Form eines Schmuckblatts als „Charlotte | Friedrich Schiller's Frau“ und ein intimes Brustbild der Ehefrau und Mutter als Frontispiz im Briefband der frisch Verliebten.
In der Folgezeit haben diese drei Porträts eine erstaunliche Verbreitung gefunden und das öffentliche Bild Charlotte Schillers im 19. Jahrhundert nahezu ausschließlich und noch im vergangenen Jahrhundert maßgeblich geprägt. Ausschlaggebend muss dafür Charlottes Tauglichkeit als weibliches Rollenmodell gewesen sein beziehungsweise die Tatsache, dass ihre Porträts vom damaligen Lesepublikum als nachträgliche Illustrationen der schwesterlichen Schiller-Biografie rezipiert werden konnten. Denn dort war Charlotte als anmutig-liebliche Dichtergattin vorgestellt worden, die „mäßig, aber treu und anhaltend in ihren Neigungen“ und „empfänglich für alles Gute und Schöne“ gewesen sei.
Von heute aus gesehen überrascht, dass Emilie zur Säkularfeier ihres Vaters nicht die nahezu ganzfigurigen, in der Familie des ältesten Sohnes vererbten Porträts ihrer Eltern ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellte. Denn diese vom Dichter mit repräsentativem Anspruch in Auftrag gegebenen Kniestücke sind mehr als nur kompositorisch aufeinander bezogen. Sowohl Friedrich wie Charlotte Schiller zeigen den Habitus der Intellektuellen, wofür unter anderem ihre auffallend schwarze Kleidung und die betonte Schmucklosigkeit von Charlottes Erscheinung steht. Mit diesen 1794 entstandenen Gemälden wollte das schillersche Ehepaar nicht nur repräsentieren, sondern auch ein zukunftsweisendes Selbstverständnis als intellektuelle Lebens- und Arbeitsgemeinschaft dokumentieren. So sitzt Charlotte, die für einen Augenblick ihre konzentrierte Lektüre unterbrochen und den Betrachter in den Blick genommen hat, ihrem Mann, dem Dichter und Denker im Typus des Inspirationsbildes, als kritische Leserin gegenüber – als die „geistige Partnerin und Assistentin“, als die Gaby Pailer sie in ihrer Biografie wiederentdeckt hat. Emilie jedoch hat statt dieser programmatischen Bildaussage drei wenig anspruchsvolle Charlotten-Porträts publiziert – mit durchschlagendem Erfolg, wie die Rezeption von Schillers Frau als Mustergattin zeigt.
Wer Charlotte Schiller dagegen als Stimme einer sich im ausgehenden 18. Jahrhundert formierenden weiblichen Autorschaft kennenlernen möchte, der sei auf die diesjährige Neuedition ihres literarischen Werks hingewiesen. Und wen die Alltagswelt der Weimarer Klassik interessiert, der kann sich auf ihre aufschlussreichen Briefwechsel freuen, mit deren Bearbeitung im letzten Jahr begonnen wurde.
Zum Weiterlesen:
Ursula Naumann, Schiller, Lotte und Line. Eine klassische Dreiecksgeschichte. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2014. 187 Seiten, 8,99 Euro
Gaby Pailer, Charlotte Schiller. Leben und Schreiben im klassischen Weimar. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009 (vergriffen, nur als E-Book oder Hörbuch)
„Damit doch jemand im Hause die Feder führt“. Charlotte von Schiller. Eine Biografie in Büchern, ein Leben in Lektüren. Bearbeitet von Ariane Ludwig und Silke Henke. Weimarer Verlagsgesellschaft, Weimar 2015. 96 Seiten, 14,90 Euro
„Ich bin im Gebiet der Poesie sehr freiheitsliebend“. Bausteine für eine intellektuelle Biographie Charlotte von Schillers. Hrsg. von Helmuth Hühn, Ariane Ludwig und Sven Schlotter. Jenaer Vorträge und Schriften 2015. 323 Seiten, 19,90 Euro
Charlotte Schiller, Literarische Schriften. Hrsg. und kommentiert von Gaby Pailer, Andrea Dahlmann-Resing und Melanie Kage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2016. 1024 Seiten, 99,95 Euro
Sabine Fischer studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Germanistik in Freiburg und Wien. Nach ihrer Promotion arbeitete sie in der Phillips Collection in Washington sowie in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden. Sie ist Mitarbeiterin im Deutschen Literaturarchiv Marbach mit dem Schwerpunkt zum Porträt der Schillerzeit und des 20. Jahrhunderts.