Porträt Monika Zeiner – Improvisationen über die Grundmelodie von Liebe und Tod, Verbundenheit und Verrat

Von Ulrich Rüdenauer

Was hat es auf sich mit diesem ominösen zweiten Buch? Stimmt das Gerücht, dass der zweite Anlauf immer der schwierigste ist? In England gibt es seit 26 Jahren den »Encore Award«, mit dem Autorinnen und Autoren ausgezeichnet werden, die es tatsächlich über diese Hürde geschafft und das »Zweite-Buch-Syndrom« erfolgreich bekämpft haben. Der Schauspieler und Schriftsteller Stephen Fry sagte anlässlich einer Preisverleihung einmal, dass man für das erste Buch eine Ewigkeit Zeit habe, es enthalte alle Erfahrungen, den Schmerz, die aufgestaute Kunstfertigkeit, Wut, Liebe, Hoffnung, komische Erfindungsgabe und Verzweiflung des bis dahin gelebten Lebens. »Der Zweitling ist ein Akt professionellen Schreibens.« Deshalb sei er so viel problematischer.

»Mein Lektor meinte, ich soll doch einfach das Zweite überspringen und gleich das Dritte schreiben. Der weiß wohl auch, dass es oft sehr schwierig sein kann.« Monika Zeiner lacht, als sie das sagt. Vielleicht auch, weil sie mit ihrem neuen Projekt auf einem guten Weg ist. Vor drei Jahren debütierte die 1971 in Würzburg geborene und seit vielen Jahren im Berliner Prenzlauer Berg lebende Autorin mit dem Roman Die Ordnung der Sterne über Como. Sie erzählte darin von emotionalen Liebesturbulenzen und einem Wendepunkt im Leben, vom Davor und Danach, von drei jungen Leuten im Berlin der Nachwendejahre und was aus ihnen geworden ist. Und sie erzählte auf so originelle, bilderreiche und unterhaltsame Weise, dass das Buch auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises gewählt wurde, sich bemerkenswert gut verkaufte und der Autorin und zweifachen Mutter eine ausgiebige Lesereise bescherte.

»Ich habe die Zugfahrten dann immer genutzt, um meine Bücher mitzuschleppen und im Zug ganz viel zu lesen – wenn man Kinder hat, ist man immer sehr froh über solche Gelegenheiten des Alleinseins, wo man dann drei, vier Stunden einfach arbeiten kann.« In dieser Zeit hat das neue Buch Form angenommen; im Kopf spukte das Projekt schon lange herum – ein komplexes historisches Thema, teils in der Gegenwart, teils in der Geschichte angesiedelt. Vor dem eigentlichen Schreiben, dem Finden des genauen Tons, des richtigen Rhythmus’, steht deshalb die umfangreiche Recherche. Ein Literaturpreis kann da hilfreich sein. Dass Monika Zeiner in diesem Jahr das Comburg-Stipendium der Stadt Schwäbisch Hall zugesprochen wurde, dotiert mit 5000 Euro und einem einmonatigen Aufenthalt in der Kocherstadt, kommt nicht ungelegen, im Gegenteil: »Es ist tatsächlich schon länger mein heimlicher Traum, einmal ungestört und abgeschieden von allem Äußeren in einem Kloster arbeiten zu dürfen«, sagt Monika Zeiner. »Ich bin sehr gespannt darauf und auch zuversichtlich, dass sich mein Projekt dort gut voranbringen lassen wird.«

Wer ihren ersten Roman gelesen hat, darf auf ihr neues Buch umso gespannter sein. Die Ordnung der Sterne über Como war viel mehr als eine Talentprobe. Man hatte den Eindruck, es mit einer reifen, bereits sehr souverän mit ihren Mitteln umgehenden Schriftstellerin zu tun zu haben. Einer Autorin zumal, die keine Scheu hat, sich den wirklich relevanten Themen der Literatur zuzuwenden: »Liebe und Tod sind da, das ist alles, was man dazu sagen kann«, zitiert sie Roland Barthes. Dieses Motto verspricht nicht zu viel.

Tom und Marc, die beiden männlichen Hauptfiguren des Romans, sind engste Freunde, Vertraute und Weggefährten. Sie studieren Musik in Berlin, erträumen sich eine spielerische Zukunft, sind kompromisslos und verabscheuen den Kommerz. Tom verdient sich sein Geld als Klavierlehrer. Mit einer seiner Schülerinnen, der Gattin eines erfolgreichen Geschäftsmannes, unterhält er ein Verhältnis, das er sich romantisch zurechtreimt. Ein anderer Eleve, der verschrobene Professor Breitenbach, referiert gerne zwischen zwei Etüden seine Erkenntnisse zur Liebesmelancholie. Die Theorie wird bald Praxis: Betty, eine Gesangsstudentin, die nebenbei noch den Eltern zuliebe Medizinvorlesungen hört, macht das Trio komplett und die Liebeskrankheit akut. Langsam von Zeiner eingefädelt, entspinnt sich eine nicht unproblematische Ménage à trois.

Betty zieht in die WG ein und tut sich mit Marc zum Paar zusammen. Es sind die neunziger Jahre, und für die Mittzwanziger, die noch arglos durch Berlin gleiten, scheint alles offen. Die Musik ist jene Sphäre, in der sich Zweifel auflösen lassen; zwischen Neuer Musik und Jazz bewegen sich die drei Talente, sie spielen zusammen, haben Auftritte. Monika Zeiner verfügt über einen feinen Sinn für die nuancenreiche Beschreibung musikalischer Epiphanien. Der Rhythmus des ganzen Buches, das auch ein Künstlerroman ist, folgt musikalischen Mustern: Themen werden variiert, Motive in Seitensträngen fortgeführt, erweitert, verlassen, später erneut aufgegriffen; über der Grundmelodie von Liebe und Tod, Verbundenheit und Verrat wird immer wieder improvisiert.

Der Musik kommt nicht nur im Roman eine wichtige Rolle zu. Mit der Italo-Swing-Band Marinafon ist Monika Zeiner in den letzten Jahren oft aufgetreten, auch bei Eröffnungen von Autohäusern und ähnlichen Anlässen, wie sie erzählt. Das hat nicht zuletzt die mehrjährige Arbeit an ihrem Roman finanziert. Die Liebe zur italienischen Musik, vor allem zu neapolitanischen Volksliedern und alten Schlagern, ist während Zeiners Studienzeit in der Hauptstadt Kampaniens entflammt. Die Stücke, die in Neapel auch von Punks auf der Straße gespielt werden und nichts Volkstümelndes haben, sind eine Art Soundtrack zu ihrem Buch, das von Berlin aus in den Süden führt. So verwunderte es nicht, dass Monika Zeiner auf ihrer Lesereise häufig von dem Pianisten Andreas Hirche begleitet wurde – und nicht nur aus ihrem Buch vortrug, sondern als Sängerin jene sehnsüchtig schmachtenden Lieder darbot, die von Pathos ebenso beseelt sind wie von wahrhaftiger Melancholie. Einmal heißt es im Roman, den langen, wehmütigen Melodielinien dieser Canzoni nachspürend: »Dann aber entschließt sich der tröstende Rhythmus der Bassfigur, eine zurückgelehnte Rumba, die nun folgende Modulation des Themas zu begleiten. ›I found my love in Portofino‹, das ist der Text der sanft klagenden Melodie, die von der Grundtonart c-Moll in immer tiefere Lagen gleitet wie eine übers Gebirge zum Meer hinabsinkende Möwe oder ein Stück Papier. ›I found my love in Portofino / perche nei sogni credo ancor‹ und so weiter, singt im inneren Ohr der imaginäre Bariton eines an den jungen Clark Gable erinnernden italienischen Fünfziger-Jahre-Stars, und Tom lächelt, als er hört, wie einer der Kontrabassisten, einer, der heimlich Jazzplatten zwischen Messiaen und Stockhausen herumstehen hat, mit einem ansteigenden Lauf einsetzt, während Ulli beginnt, mit den Besen über das Fell zu streicheln. Dann nimmt die Melodieführung Anlauf und überspringt eine Quarte zum d, erreicht mit einem Seufzer den Gipfelpunkt, eine Aussichtsplattform hoch über dem Ligurischen Meer an einem Regentag ohne Touristen, und segelt verhalten wieder hinab zur Grundtonart und zum letzten verklingenden ›a Portofino ... I found my love‹, das den Inhalt des Stücks noch einmal auf den Punkt bringt, bevor der fahrende Zug immer kleiner wird, sich immer tiefer in die Landschaft senkt und endlich im Dunst ganz verschwindet.«

Wie es im Roman mit seinen mäandernden Sätzen im Stil von Thomas Mann weitergeht? Tom verliebt sich natürlich in Betty. Am Ufer des Comer Sees, ins Nachtblau und die Sterne blickend, kommen sich die beiden äußerst nah. Am nächsten Tag wird nichts mehr so sein, wie es war, und was fortan sein wird, hat seinen Quell in diesem magischen Augenblick – auch der Tod von Marc. Alles verändert sich. Betty wendet sich von der Musik ab und ganz der Medizin zu, sie zieht nach Neapel und heiratet. Tom taumelt wie ein Verlorener durch sein Leben, sich Leidenschaften und Illusionen versagend. Auch er heiratet und die Ehe scheitert. Viele Jahre später erst kommt es bei einer Tournee durch Italien – das ist die Gegenwartsebene des Romans – zum Wiedersehen der beiden und zu einer Begegnung mit der Vergangenheit.

Professor Breitenbach schlüsselt im Roman einmal das Paradox der romantischen Liebe auf und zeichnet zugleich, ohne es zu ahnen, ein Porträt des schwermütigen Tom: »Der Liebende kann das Geliebte nicht besitzen, und er substituiert es als Gedankenbild in seiner Phantasie. Sowohl der Trauernde als auch der Melancholiker als auch der Liebende, sehen Sie, richten sich dauerhaft, lassen Sie es mich so formulieren, in der guten Stube der Erinnerung ein. Und diese gute Stube der Erinnerung bewahrt uns vor der Welt!« Diese Gedanken könnten aus Monika Zeiners Doktorarbeit über die Liebesmelancholie im Mittelalter stammen und liefern die Folie des Buches. Wie sie aber ihre wissenschaftlichen Reflexionen sinnlich, variationsreich, zuweilen auch heiter in eine Erzählung verwandelt und in die Gegenwart übersetzt hat, ist großartig.

Monika Zeiner ist eine form- und sprachbewusste Autorin. »Ich musste bei diesem Debüt sehr oft einfach Sachen wegwerfen, noch mal neu schreiben, bis ich überhaupt so etwas wie einen eigenen Ton, eine eigene Sprache entwickelt habe«, erzählt sie. »Der Stoff an sich aber war ziemlich schnell da, und es war beim zweiten Buch eigentlich auch kein Problem, einen Stoff zu finden – eher schon, ihn einzugrenzen, eine Form dafür zu wählen.« Auch die Arbeit am neuen Roman sei »eine Expedition ins Ungewisse, eine Bergwanderung – man weiß natürlich gar nicht, ob man oben ankommt«. Wenn sie aber oben ankommt, und daran sollte man nicht zweifeln, wird die Aussicht ganz wunderbar sein.

Ab dem zweiten Buch, heißt es, könne man von sich sagen, man sei wirklich ein Schriftsteller. »Vielleicht warte ich damit auch noch ein bisschen«, meint Monika Zeiner. »Ich habe immer Probleme, das auszusprechen – ‹ich bin Schriftstellerin‹. Ich sage dann immer: ‹Autorin, ich schreib so Sachen‹. Das klingt irgendwie unverfänglicher.« Die Sachen, die sie schreibt, sind allerdings eindeutig die einer Schriftstellerin.

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Monika Zeiner wird im Herbst als Comburg-Stipendiatin in Schwäbisch Hall sein und am 13. Oktober im Kaisersaal lesen. Die Preisverleihung findet am 19. Oktober im Rathaus statt.

Zum Weiterlesen:

Die Ordnung der Sterne über Como. Roman. Blumenbar Verlag, Berlin 2013. 607 Seiten, 19,99 Euro (Aufbau TB 12,99 Euro)

Ulrich Rüdenauer, Jahrgang 1971, arbeitet in Bad Mergentheim und Berlin als freier Autor, unter anderem für Süddeutsche Zeitung, taz, Deutschlandfunk und SWR. Er ist Kurator der Lesereihe „Literatur im Schloss“ in Bad Mergentheim.