Von Irme Schaber
In diesem Juli jährt sich zum 80. Mal der Militärputsch von General Franco gegen die kurz zuvor demokratisch gewählte republikanische Regierung. Durch die Unterstützung von Hitlerdeutschland wurde aus einem fast misslungenen faschistischen Putsch ein epochaler Kampf der Weltanschauungen und einer der grausamsten Konflikte des 20. Jahrhunderts. Von Anfang an haben sich Literaten und Dichter aus vielen Ländern damit beschäftigt.
Freiwillige aus aller Welt eilten nach Spanien, um gegen den
erstarkenden Faschismus in Europa zu kämpfen. Unter ihnen viele
Künstler und Intellektuelle, die ihre freiheitlichen Ideale in
Gefahr sahen: Der Autor des Kleinen Prinzen, Antoine de
Saint-Exupéry, war für eine Pariser Tageszeitung unterwegs, die
französische Philosophin Simone Weil, der englische Schriftsteller
George Orwell, der deutsche Emigrant und Schriftsteller Gustav
Regler kämpften in Milizen oder den Internationalen Brigaden. Nie
zuvor war ein Krieg so umfassend dokumentiert, fotografiert und
gefilmt worden. Nie zuvor hatte ein Krieg solch breiten und
unmittelbaren Widerhall in Literatur, Kunst und Kultur gefunden.
Pablo Picasso arbeitete an „Guernica“, Pablo Neruda, der
chilenische Konsul in Madrid, verlor seinen Posten, weil er Partei
ergriff für die Republik und für seinen in Granada von den
Faschisten ermordeten Dichterfreund Federico García Lorca. Die
Stuttgarterin Gerda Taro, die im Spanischen Bürgerkrieg zusammen
mit Robert Capa die moderne Kriegsfotografie schuf, fotografierte
nach einem Bombenangriff in Madrid Nerudas zerstörtes Haus, die
Casa de las Flores, die er in seinem Gedichtband Spanien im
Herzen betrauert. Ernest Hemingway kabelte als
Kriegsberichterstatter in Spanien nicht nur Frontberichte über den
großen Teich, sondern brachte mit seinem Roman Wem die Stunde
schlägt den Spanischen Bürgerkrieg in die Weltliteratur.
Ihnen, den Künstlern und Intellektuellen, den Schriftstellerinnen
und Schriftstellern, ist zu verdanken, dass trotz Francos Sieg die
Geschichte nicht von den Siegern geschrieben wurde.
Genau
dies würdigt zum 80. Jahrestag die Anthologie So weit uns
Spaniens Hoffnung trug mit über 40 Erzählungen und Berichten
von deutschsprachigen AutorInnen, die die gesamte Bürgerkriegszeit
beleuchten. Kundig zusammengestellt hat den Band der österreichische
Schriftsteller und Hispanist Erich Hackl, ein ausgewiesener Kenner
der Bürgerkriegsliteratur. Hackl weiß um die heutigen
Erinnerungsdebatten in Spanien und den Kampf um die »Deutungshoheit«
der Ereignisse. Ihm ist wichtig, dass Erika Mann, Arthur Köstler,
Anna Seghers, Joseph Roth oder Ernst Toller direkt zu Wort kommen,
denn: „In ein paar Jahren wird niemand mehr da sein, der mit den
Ereignissen eigene Erfahrungen verbindet; und wer den ersten langen,
erbitterten und am meisten erregenden Abwehrkampf gegen den
Faschismus, unter scheinbar völlig veränderten politischen
Verhältnissen nach- und miterleben will, wird auf die unter dem
Eindruck des Geschehens entstandene Literatur angewiesen sein. Sie
gibt, genauer als ein Geschichtswerk, Auskunft über das, was die
Menschen damals erhofft, was sie gewonnen und verloren haben, was
möglich gewesen wäre.“
Ein gut lesbares
Geschichtswerk möchte auch Amanda Vaill mit Hotel Florida.
Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg vorlegen.
Im Madrider Hotel Florida verkehrten viele Literaten und
Berichterstatter, die auf Seiten der Republik standen. Aus der
internationalen Gästeliste hat sich Vaill drei prominente
Liebespaare herausgefischt, anhand derer sie im Plauderton und so
glamourös als möglich dem Krieg zu Leibe rückt. Ernest Hemingway,
der das Hotel weltberühmt machte, die Journalistin Martha Gellhorn,
die im Florida seine Geliebte und später seine dritte Ehefrau
wurde; das Fotografenpaar Robert Capa und Gerda Taro, die in Spanien
ihr Leben riskierten, sowie schließlich Arturo Barea, Leiter der
Zensurstelle der spanischen Republik im belagerten Madrid, und seine
Mitarbeiterin und spätere Ehefrau, die österreichische
Antifaschistin Ilse Kulcsar. Gekonnt jongliert die amerikanische
Autorin mit Erzählsträngen, verknüpft Paargeschichte mit
Zeitgeschichte, Klatschgeschichten mit historisch bedeutsamen
Ereignissen.
Die Krux ist, dass Vaill dabei mangels Sachkenntnis weder der Komplexität des Spanischen Bürgerkriegs gerecht wird noch es schafft, die Tragik des Geschehens angemessen zu vermitteln. Politischen Theorien rückt sie mit Lakonie und falschen Etikettierungen zu Leibe, ihr Umgang mit Quellen ist fragwürdig und ideologisch gefärbte Spanienliteratur aus der Zeit des Kalten Krieges ist offensichtlich nicht als solche reflektiert. Die Männer heißen Barea, Capa und Hemingway, Frauen haben nur Vornamen: Ilse tippt, Gerda will „spannende Bilder machen“ und Martha geht „shoppen“. Hotel Florida liest sich wie ein gehobener Klatschroman samt Sex und Intrigen – Fakten über den Spanischen Bürgerkrieg und historisch reale Personen sollte man diesem Band lieber nicht entnehmen wollen.
Auch die spanische Journalistin und Schriftstellerin Susana
Fortes konnte dem spannenden Plot der Liebesgeschichte von Robert
Capa und Gerda Taro nicht widerstehen. Warten auf Robert Capa
heißt ihr eben auf Deutsch erschienener Roman. Die Ingredienzen
erfolgreicher Vermarktung sind dieselben wie bei Vaill: Liebe in
Zeiten des Krieges und prominente Zeitgenossen. Das Buch wurde
umgehend an Hollywood verkauft und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Fortes ist fasziniert von den beiden Flüchtlingen aus
Hitlerdeutschland, die sich im Pariser Exil als Fotografenpaar Taro
und Capa neu erfinden. Obwohl oder weil sie sich vieler Details aus
den Biografien der beiden bedient, wirken die Romanfiguren hölzern,
unglaubwürdig, gar befremdlich. Etwa wenn den Kollegen Chim „das
Schicksal Jude zu sein wie eine Art Traurigkeit“ überschattet,
Gerda Taro „sich als Jüdin nie ganz wohl gefühlt [hat] in ihrer
Haut“ und Capa als unwiderstehlicher „Zigeuner“
charakterisiert ist. Der Spanische Bürgerkrieg wird eher referiert
als erzählt und die Arbeit von Kriegsfotografen stellt sich Fortes
sehr anstrengend vor – zumindest der weiblichen. Immer wieder
sehnt sich Gerda Taro nach einer Dusche – Robert Capa nie.
Bei
Joan Sales dagegen durchdringt der Krieg alles. Er schrieb, weil der
Bürgerkrieg ihn zeitlebens nie mehr losließ. Der Anarchist und
katalanische Nationalist hatte auf Seiten der Republik gekämpft.
Zehn Jahre nach der Niederlage kehrte er aus dem mexikanischen Exil
zurück und begann in Barcelona an seinem Roman Flüchtiger Glanz
zu arbeiten. Nach Verboten durch die Zensurbehörden des
Franco-Regimes erschien 1956 eine erste verstümmelte Version auf
Spanisch. Die jetzt endlich auf Deutsch vorliegende Fassung ist das
Ergebnis jahrelanger Überarbeitungen und Erweiterungen, die der
Autor noch vor seinem Tod 1983 vornehmen konnte.
Aufgebaut wie
ein Triptychon, erzählt Flüchtiger Glanz die so aktuelle
wie zeitlose Leidensgeschichte junger Menschen in einer aus den
Fugen geratenen Welt. Zuerst offenbart sich Lluis, der an der
Aragon-Front vom Anarchisten zum Zweifler wird. Dann kommt Lluis’
junge Frau Trini zu Wort, Tochter eines Anarchisten, die sich
heimlich taufen lässt, und schließlich wirft der Brigadist und
Priesterschüler Cruells einen Blick auf das ihm oft unerklärliche
Geschehen. Verrohung in den eigenen Reihen, Zerfall der Ideale,
geballter Zynismus, Verlorenheit, Hass und Trauer platziert die
durchaus autobiografisch grundierten Protagonisten des Romans
abseits der ideologischen Frontverläufe des Bürgerkriegs. Vor
allem Juli Solerás, mit dem alle drei befreundet sind, entwickelt
sich zu einem radikalen Denker und provokanten Häretiker. Joan
Sales’ Figuren glauben nicht (mehr) an gesellschaftspolitische
Visionen, kein Links oder Rechts, sondern werden zu
dostojewskihaften Gottsuchern und Gotteszweiflern, deren Auge umso
mehr geschärft ist für den flüchtigen Glanz und die Schönheit
der Welt, wie die empfindsamen und bezaubernden Natur- und
Landschaftsbilder von Joan Sales beweisen.
Warum der
Bürgerkrieg in Spanien keine abgelegte Historie ist, sondern das
Land bis heute umtreibt und spaltet, macht auf ganz andere Weise Der
Feind meines Vaters von Almudena Grandes begreiflich. Ein
fesselnder Entwicklungs-, ja Abenteuerroman, der die Terrorjahre der
Franco-Diktatur, Armut und Repression aus der Sicht des neunjährigen
Nino erzählt. Eine Welt von Gewalt, Schuld, Verdrängung,
Geheimnissen und Verrat. Sein Vater ist bei der Guardia Civil und
kämpft gegen Rebellen in den Bergen, deren kühne Taten Nino
insgeheim faszinieren. Der Bürgerkrieg ist nicht vorbei, der Riss
geht durch Familien, spaltet das kleine Dorf. Verlierer und Sieger,
Verfolgte und Verfolger leben auf engstem Raum, gehen zusammen in
die Kirche, ihre Kinder sitzen in der Schule auf der gleichen Bank.
Eine außergewöhnliche Freundschaft und die Welt der Bücher
befähigen den Polizistensohn zu einer ebenso gefahrvollen wie
lehrreichen Gratwanderung zwischen den Lagern: Nicht alle bei der
Guardia Civil sind Faschisten, nicht allen „Roten“ kann man
trauen. Grandes gelingt ein relativ differenziertes und einfühlsames
Bild vom Leben in der Diktatur als einem Krieg, „der schlimmer ist
als der andere“, weil er endlos sein wird, wie Ninos Mutter
befürchtet.
Annähernd vierzig Jahre dauerte die
Herrschaft Francos. Erst nach dem Tod des Diktators 1975 konnte in
Spanien über den Bürgerkrieg geschrieben werden, ohne Repressionen
fürchten zu müssen. Bis heute ist das Gedächtnis des Bürgerkriegs
ein brisantes und umkämpftes Thema, vergleichbar den politischen
und literarischen Diskursen in Deutschland über die Nazidiktatur.
Inzwischen sind es nicht mehr die Zeitzeugen, sondern eine neue
Autorengeneration der Enkelinnen und Enkel, die in ihren Romanen
auch die franquistische Seite mit einbeziehen, den Rechercheprozess
thematisieren und Erinnerungskonkurrenzen aufbrechen, um die
Vergangenheit in der Gegenwart auszuloten.
Zum Weiterlesen:
So weit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählungen und
Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Hrsg. von Erich Hackl.
Rotpunktverlag, Zürich 2016. 400 Seiten, 25 Euro
Amanda
Vaill, Hotel Florida. Wahrheit, Liebe und Verrat im
Spanischen Bürgerkrieg. Klett-Cotta, Stuttgart 2015. 520 Seiten
inkl. Abbildungsteil, 24,95 Euro
Susana Fortes, Warten
auf Robert Capa. Ebersbach & Simon, Berlin 2016. 254 Seiten,
19,95 Euro
Joan Sales, Flüchtiger Glanz. C.
Hanser Verlag, München 2015. 576 Seiten, 26,00 Euro
Almudena
Grandes, Der Feind meines Vaters. C. Hanser Verlag, München
2015. 400 Seiten, 19,90 (dtv 2014, 10,90 Euro)
Irme
Schaber, 1956 geboren, lebt als freie Autorin, Dozentin und
Kuratorin bei Stuttgart. Fotografie und Fotokunst, Exil- und
Kulturgeschichte stehen im Fokus ihrer Arbeit. 2013 erschien ihre
große Biografie über die Fotoreporterin Gerda Taro.