Spanien im Herzen – Vor 80 Jahren begann der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939)

Von Irme Schaber

In diesem Juli jährt sich zum 80. Mal der Militärputsch von General Franco gegen die kurz zuvor demokratisch gewählte republikanische Regierung. Durch die Unterstützung von Hitlerdeutschland wurde aus einem fast misslungenen faschistischen Putsch ein epochaler Kampf der Weltanschauungen und einer der grausamsten Konflikte des 20. Jahrhunderts. Von Anfang an haben sich Literaten und Dichter aus vielen Ländern damit beschäftigt.

Freiwillige aus aller Welt eilten nach Spanien, um gegen den erstarkenden Faschismus in Europa zu kämpfen. Unter ihnen viele Künstler und Intellektuelle, die ihre freiheitlichen Ideale in Gefahr sahen: Der Autor des Kleinen Prinzen, Antoine de Saint-Exupéry, war für eine Pariser Tageszeitung unterwegs, die französische Philosophin Simone Weil, der englische Schriftsteller George Orwell, der deutsche Emigrant und Schriftsteller Gustav Regler kämpften in Milizen oder den Internationalen Brigaden. Nie zuvor war ein Krieg so umfassend dokumentiert, fotografiert und gefilmt worden. Nie zuvor hatte ein Krieg solch breiten und unmittelbaren Widerhall in Literatur, Kunst und Kultur gefunden. Pablo Picasso arbeitete an „Guernica“, Pablo Neruda, der chilenische Konsul in Madrid, verlor seinen Posten, weil er Partei ergriff für die Republik und für seinen in Granada von den Faschisten ermordeten Dichterfreund Federico García Lorca. Die Stuttgarterin Gerda Taro, die im Spanischen Bürgerkrieg zusammen mit Robert Capa die moderne Kriegsfotografie schuf, fotografierte nach einem Bombenangriff in Madrid Nerudas zerstörtes Haus, die Casa de las Flores, die er in seinem Gedichtband Spanien im Herzen betrauert. Ernest Hemingway kabelte als Kriegsberichterstatter in Spanien nicht nur Frontberichte über den großen Teich, sondern brachte mit seinem Roman Wem die Stunde schlägt den Spanischen Bürgerkrieg in die Weltliteratur. Ihnen, den Künstlern und Intellektuellen, den Schriftstellerinnen und Schriftstellern, ist zu verdanken, dass trotz Francos Sieg die Geschichte nicht von den Siegern geschrieben wurde.

Genau dies würdigt zum 80. Jahrestag die Anthologie So weit uns Spaniens Hoffnung trug mit über 40 Erzählungen und Berichten von deutschsprachigen AutorInnen, die die gesamte Bürgerkriegszeit beleuchten. Kundig zusammengestellt hat den Band der österreichische Schriftsteller und Hispanist Erich Hackl, ein ausgewiesener Kenner der Bürgerkriegsliteratur. Hackl weiß um die heutigen Erinnerungsdebatten in Spanien und den Kampf um die »Deutungshoheit« der Ereignisse. Ihm ist wichtig, dass Erika Mann, Arthur Köstler, Anna Seghers, Joseph Roth oder Ernst Toller direkt zu Wort kommen, denn: „In ein paar Jahren wird niemand mehr da sein, der mit den Ereignissen eigene Erfahrungen verbindet; und wer den ersten langen, erbitterten und am meisten erregenden Abwehrkampf gegen den Faschismus, unter scheinbar völlig veränderten politischen Verhältnissen nach- und miterleben will, wird auf die unter dem Eindruck des Geschehens entstandene Literatur angewiesen sein. Sie gibt, genauer als ein Geschichtswerk, Auskunft über das, was die Menschen damals erhofft, was sie gewonnen und verloren haben, was möglich gewesen wäre.“

Ein gut lesbares Geschichtswerk möchte auch Amanda Vaill mit Hotel Florida. Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg vorlegen. Im Madrider Hotel Florida verkehrten viele Literaten und Berichterstatter, die auf Seiten der Republik standen. Aus der internationalen Gästeliste hat sich Vaill drei prominente Liebespaare herausgefischt, anhand derer sie im Plauderton und so glamourös als möglich dem Krieg zu Leibe rückt. Ernest Hemingway, der das Hotel weltberühmt machte, die Journalistin Martha Gellhorn, die im Florida seine Geliebte und später seine dritte Ehefrau wurde; das Fotografenpaar Robert Capa und Gerda Taro, die in Spanien ihr Leben riskierten, sowie schließlich Arturo Barea, Leiter der Zensurstelle der spanischen Republik im belagerten Madrid, und seine Mitarbeiterin und spätere Ehefrau, die österreichische Antifaschistin Ilse Kulcsar. Gekonnt jongliert die amerikanische Autorin  mit Erzählsträngen, verknüpft Paargeschichte mit Zeitgeschichte, Klatschgeschichten mit historisch bedeutsamen Ereignissen.

Die Krux ist, dass Vaill dabei mangels Sachkenntnis weder der Komplexität des Spanischen Bürgerkriegs gerecht wird noch es schafft, die Tragik des Geschehens angemessen zu vermitteln. Politischen Theorien rückt sie mit Lakonie und falschen Etikettierungen zu Leibe, ihr Umgang mit Quellen ist fragwürdig und ideologisch gefärbte Spanienliteratur aus der Zeit des Kalten Krieges ist offensichtlich nicht als solche reflektiert. Die Männer heißen Barea, Capa und Hemingway, Frauen haben nur Vornamen: Ilse tippt, Gerda will „spannende Bilder machen“ und Martha geht „shoppen“. Hotel Florida liest sich wie ein gehobener Klatschroman samt Sex und Intrigen – Fakten über den Spanischen Bürgerkrieg und historisch reale Personen sollte man diesem Band lieber nicht entnehmen wollen.

Auch die spanische Journalistin und Schriftstellerin Susana Fortes konnte dem spannenden Plot der Liebesgeschichte von Robert Capa und Gerda Taro nicht widerstehen. Warten auf Robert Capa heißt ihr eben auf Deutsch erschienener Roman. Die Ingredienzen erfolgreicher Vermarktung sind dieselben wie bei Vaill: Liebe in Zeiten des Krieges und prominente Zeitgenossen. Das Buch wurde umgehend an Hollywood verkauft und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Fortes ist fasziniert von den beiden Flüchtlingen aus Hitlerdeutschland, die sich im Pariser Exil als Fotografenpaar Taro und Capa neu erfinden. Obwohl oder weil sie sich vieler Details aus den Biografien der beiden bedient, wirken die Romanfiguren hölzern, unglaubwürdig, gar befremdlich. Etwa wenn den Kollegen Chim „das Schicksal Jude zu sein wie eine Art Traurigkeit“ überschattet, Gerda Taro „sich als Jüdin nie ganz wohl gefühlt [hat] in ihrer Haut“ und Capa als unwiderstehlicher „Zigeuner“ charakterisiert ist. Der Spanische Bürgerkrieg wird eher referiert als erzählt und die Arbeit von Kriegsfotografen stellt sich Fortes sehr anstrengend vor – zumindest der weiblichen. Immer wieder sehnt sich Gerda Taro nach einer Dusche – Robert Capa nie.

Bei Joan Sales dagegen durchdringt der Krieg alles. Er schrieb, weil der Bürgerkrieg ihn zeitlebens nie mehr losließ. Der Anarchist und katalanische Nationalist hatte auf Seiten der Republik gekämpft. Zehn Jahre nach der Niederlage kehrte er aus dem mexikanischen Exil zurück und begann in Barcelona an seinem Roman Flüchtiger Glanz zu arbeiten. Nach Verboten durch die Zensurbehörden des Franco-Regimes erschien 1956 eine erste verstümmelte Version auf Spanisch. Die jetzt endlich auf Deutsch vorliegende Fassung ist das Ergebnis jahrelanger Überarbeitungen und Erweiterungen, die der Autor noch vor seinem Tod 1983 vornehmen konnte.
Aufgebaut wie ein Triptychon, erzählt Flüchtiger Glanz die so aktuelle wie zeitlose Leidensgeschichte junger Menschen in einer aus den Fugen geratenen Welt. Zuerst offenbart sich Lluis, der an der Aragon-Front vom Anarchisten zum Zweifler wird. Dann kommt Lluis’ junge Frau Trini zu Wort, Tochter eines Anarchisten, die sich heimlich taufen lässt, und schließlich wirft der Brigadist und Priesterschüler Cruells einen Blick auf das ihm oft unerklärliche Geschehen. Verrohung in den eigenen Reihen, Zerfall der Ideale, geballter Zynismus, Verlorenheit, Hass und Trauer platziert die durchaus autobiografisch grundierten Protagonisten des Romans abseits der ideologischen Frontverläufe des Bürgerkriegs. Vor allem Juli Solerás, mit dem alle drei befreundet sind, entwickelt sich zu einem radikalen Denker und provokanten Häretiker. Joan Sales’ Figuren glauben nicht (mehr) an gesellschaftspolitische Visionen, kein Links oder Rechts, sondern werden zu dostojewskihaften Gottsuchern und Gotteszweiflern, deren Auge umso mehr geschärft ist für den flüchtigen Glanz und die Schönheit der Welt, wie die empfindsamen und bezaubernden Natur- und Landschaftsbilder von Joan Sales beweisen.

Warum der Bürgerkrieg in Spanien keine abgelegte Historie ist, sondern das Land bis heute umtreibt und spaltet, macht auf ganz andere Weise Der Feind meines Vaters von Almudena Grandes begreiflich. Ein fesselnder Entwicklungs-, ja Abenteuerroman, der die Terrorjahre der Franco-Diktatur, Armut und Repression aus der Sicht des neunjährigen Nino erzählt. Eine Welt von Gewalt, Schuld, Verdrängung, Geheimnissen und Verrat. Sein Vater ist bei der Guardia Civil und kämpft gegen Rebellen in den Bergen, deren kühne Taten Nino insgeheim faszinieren. Der Bürgerkrieg ist nicht vorbei, der Riss geht durch Familien, spaltet das kleine Dorf. Verlierer und Sieger, Verfolgte und Verfolger leben auf engstem Raum, gehen zusammen in die Kirche, ihre Kinder sitzen in der Schule auf der gleichen Bank. Eine außergewöhnliche Freundschaft und die Welt der Bücher befähigen den Polizistensohn zu einer ebenso gefahrvollen wie lehrreichen Gratwanderung zwischen den Lagern: Nicht alle bei der Guardia Civil sind Faschisten, nicht allen „Roten“ kann man trauen. Grandes gelingt ein relativ differenziertes und einfühlsames Bild vom Leben in der Diktatur als einem Krieg, „der schlimmer ist als der andere“, weil er endlos sein wird, wie Ninos Mutter befürchtet.

Annähernd vierzig Jahre dauerte die Herrschaft Francos. Erst nach dem Tod des Diktators 1975 konnte in Spanien über den Bürgerkrieg geschrieben werden, ohne Repressionen fürchten zu müssen. Bis heute ist das Gedächtnis des Bürgerkriegs ein brisantes und umkämpftes Thema, vergleichbar den politischen und literarischen Diskursen in Deutschland über die Nazidiktatur. Inzwischen sind es nicht mehr die Zeitzeugen, sondern eine neue Autorengeneration der Enkelinnen und Enkel, die in ihren Romanen auch die franquistische Seite mit einbeziehen, den Rechercheprozess thematisieren und Erinnerungskonkurrenzen aufbrechen, um die Vergangenheit in der Gegenwart auszuloten.

Zum Weiterlesen:

So weit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählungen und Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Hrsg. von Erich Hackl. Rotpunktverlag, Zürich 2016. 400 Seiten, 25 Euro

Amanda Vaill, Hotel Florida. Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg. Klett-Cotta, Stuttgart 2015. 520 Seiten inkl. Abbildungsteil, 24,95 Euro

Susana Fortes, Warten auf Robert Capa. Ebersbach & Simon, Berlin 2016. 254 Seiten, 19,95 Euro

Joan Sales, Flüchtiger Glanz. C. Hanser Verlag, München 2015. 576 Seiten, 26,00 Euro

Almudena Grandes, Der Feind meines Vaters. C. Hanser Verlag, München 2015. 400 Seiten, 19,90 (dtv 2014, 10,90 Euro)


Irme Schaber, 1956 geboren, lebt als freie Autorin, Dozentin und Kuratorin bei Stuttgart. Fotografie und Fotokunst, Exil- und Kulturgeschichte stehen im Fokus ihrer Arbeit. 2013 erschien ihre große Biografie über die Fotoreporterin Gerda Taro.