Von Michael Bienert
„D. 1T SEPTBR. IN BAMBERG ANGEKOMMEN“ steht in großen weißen Buchstaben auf einer roten Gartenmauer am Flüsschen Regnitz. Dahinter liegt ein hübsches zweistöckiges Anwesen mit Garten, in dem sich der Dichter E. T. A. Hoffmann 1808 gleich nach seiner Ankunft in der fränkischen Stadt einquartierte. Auf Anfrage kann es besichtigt werden. Seit drei Generationen dient es der Bamberger Künstlerfamilie Bauer als Wohn- und Atelierhaus – eine wunderbare Nachnutzung für einen Ort, an dem der dichtende, malende und komponierende Romantiker für kurze Zeit wohnte. Die heute dort lebende Künstlerin Gudrun Besslein-Bauer arbeitet besonders gerne mit Papier: Sie formt daraus Bilder und Skulpturen, die spontan an verkohlte Palimpseste, an alte Baumrinden und bröckelnde Steine erinnern. Artefakte aus zartem Zellstoff, die – wie es auf der Website des Künstlerhauses heißt – die „Illusion einer fiktiven Vergangenheit“ erzeugen.
Wie schön, wenn man beim Abwandern der Dichteradressen in der UNESCO-Welterbe-Stadt solch einen poetischen Winkel entdeckt! Das Haus Nonnendammbrücke 10 gehört weder zu den Hauptsehenswürdigkeiten wie das Rathaus, der Dom und der Bamberger Reiter noch zu den prominenten Hoffmann-Adressen. Es steht am Schillerplatz, wenige Schritte vom Stadttheater entfernt, das heute Hoffmanns Namen trägt. Dorthin wurde der Dichter 1808 als Kapellmeister engagiert. Egal was auf den Spielplan steht, ein Theaterbesuch muss sein, denn der klassizistische Zuschauerraum des 1802 eröffneten Stadttheaters atmet trotz aller bühnentechnischen Ertüchtigungen, Um- und Anbauten noch die Aura des frühen 19. Jahrhunderts. Hier fällt es leicht, sich den kleinen, hageren, backenbärtigen Künstler mit dem quecksilbrigen Temperament am Pianoforte vorzustellen, wie er ein widerstrebendes Orchester und mittelmäßige Sänger zu Höchstleistungen anzuspornen versuchte. Wie er als Mädchen für alles die Bühnendekorationen für Kleists „Käthchen von Heilbronn“ entwarf und selbst Hand bei den Malerarbeiten anlegte. Und dort rechts die von Karyatiden gerahmte Loge neben der Bühne, ja, das ist der Schauplatz von Hoffmanns Erzählung Don Juan.
Mit dem Ruf ans junge Bamberger Theater wurde Hoffmann aus allererbärmlichster Geldnot errettet: Der Sieg Napoleons über Preußen hatte ihn 1806 in Warschau aus seiner Beamtenlaufbahn als Jurist geworfen, vergeblich hatte er danach versucht, sich in Berlin mit Komponieren, Schreiben und Malen über Wasser zu halten. In Bamberg ließ sich nicht lange verbergen, dass es dem Quereinsteiger als Musikdirektor an Routine fehlte: Schon nach acht Wochen war Hoffmann den Traumjob wieder los. Sein Gehalt wurde gekürzt, im April 1809 ging das Theater pleite, als es wieder öffnete, wurde Hoffmann erneut engagiert. Mit Musikunterricht für die Bürgertöchter Bambergs, mit Kompositionen und Artikeln brachte er sich und seine polnische Frau Michalina durch.
Wegen knapper Kasse musste er bald nach der Ankunft eine kleinere, billigere Wohnung suchen. Er fand sie am heutigen Schillerplatz, mit Blick auf die klassizistische Seitenfront des Theaters und auf das Gasthaus „Zur Rose“, das heute „Hoffmanns in der Theaterrose“ heißt. „Auch ein Poetenstübchen dabei“, vermerkt am 1. Mai 1809 Hoffmanns Tagebuch zum Wohnungseinzug. Man erkennt es schon vom Schillerplatz: Das fragliche Haus ist nur zwei Fenster breit, und aus dem Dach schaut ein einziges Fensterchen heraus.
Da oben im Dachkämmerchen hauste hundert Jahre nach Hoffmann ein Freudenmädchen, dessen anstößigem Treiben die Bamberger Hoffmannfreunde 1923 ein Ende setzten. Sie mieteten das „Poetenstübchen“, um dort eine Dichtergedenkstätte und einen Anziehungspunkt für Touristen zu schaffen. Seither hat diese Idee von dem ganzen Häuschen Besitz ergriffen: An drei verwinkelten Ausstellungsetagen vorbei steigen die Literaturliebhaber über eine knarzende Holztreppe zum Dachstübchen empor, das mit einem schlichten Schreibtisch, einem Hammerklavier, einem einfachen Bett und zwei Stühlen möbliert ist. Eine winzige Luke im knarrenden Holzfußboden öffnet sich zum Stockwerk darunter, sie diente eigentlich dazu, warme Luft in das ofenlose Poetenstübchen hochsteigen zu lassen. In der Etage darunter werkelte Hoffmanns Frau; wollten die beiden sich necken oder streiten, konnten sie sich durch die Luke miteinander verständigen.
Musik weht aus einem Nachbarraum der Dachmansarde in die Dichterstube: In einer Kommode mit Schubladen sind dort Autografen von Hoffmann zu sehen, zieht man eine Schublade heraus, erklingt eine seiner Kompositionen. Auf anderen Etagen gibt es eine Tafelausstellung zu Leben und Werk, einen Vortragsraum, ein „Spiegelkabinett“, ein „Gedankenmikroskop“ und eine „Undinenloge“ sowie allerlei künstlerische Arbeiten zu Hoffmanns Werken – ein buntes Sammelsurium ohne einheitliches Ausstellungsdesign und roten Faden. Das am Schillerplatz nur drei Meter sechzig breite Haus erstreckt sich tief in den Häuserblock und bietet unerwartet viel Ausstellungsfläche, die indes in viele enge Räume zerfällt. Dahinter ist sogar noch Platz für einen Themengarten, da sprudelt ein Brünnlein neben einer Skulptur der Wasserfee Undine, Holunder- und Rosenbüsche verweisen auf Motive aus dem Goldenen Topf, Klein Zaches und den Lebensansichten des Katers Murr. Trauben reifen an der Rückseite des Hauses: Hoffmann schätzte einen guten Tropfen Wein oder Punsch als Stimulans für seine künstlerische Produktion.
Als Bamberger Reiter der fröhlichen Art, rittlings auf einem Weinfass im Keller mit seinem Freund Carl Friedrich Kunz über Literatur diskutierend, dürfen wir uns Hoffmann vorstellen. Kunz betrieb eine Weinhandlung, zugleich besaß er die beste Privatbibliothek in Bamberg, gründete eine Leihbibliothek und einen Verlag, der Hoffmanns Fantasiestücke druckte. Seit 2010 markiert eine Gedenktafel am Grünen Markt 31 den Weinkeller von Kunz. Versteckter liegt sein späteres Wohnhaus an der Eisgrube 14, dessen Hauptsehenswürdigkeit in der engen Nebenstraße der Türknauf ist, ein Knollennasengesicht aus Bronze. Es taucht in Hoffmanns Dresdner Erzählung Der goldene Topf wieder auf: „Da stand und schaute er den großen schönen bronzenen Türklopfer an; aber als er nun auf den letzten, die Luft mit mächtigem Klange durchbebenden Schlag der Turmuhr an der Kreuzkirche den Türklopfer ergreifen wollte, da verzog sich das metallene Gesicht im ekelhaften Spiel blauglühender Lichtblicke zum grinsenden Lächeln. Ach! Es war ja das Äpfelweib vom Schwarzen Tor!“ Das „Äpfelweibla“ ist als Postkartenmotiv, als Backform oder Porzellandose ein beliebter touristischer Exportartikel Bambergs geworden.
Nahebei läutet die Stephanskirche: Sie war die einzige protestantische Kirche im jahrhundertelang von katholischen Erzbischöfen regierten Bamberg und für das Seelenheil des preußischen Protestanten Hoffmann zuständig. Darin heiratete am 13. Dezember 1812 seine Gesangsschülerin Julia Mark den Hamburger Kaufmannssohn Johann Gerhard Graepel. Danach hielt es Hoffmann, der unsterblich in das Mädchen verliebt war, nicht mehr in Bamberg. Am Wohnhaus der Familie Mark, Lange Straße 13, preist eine Gedenktafel das „Urbild seiner schönsten Frauengestalten“.
Glück des Literaturspaziergängers: Bamberg ist mit einem dichten Netz von Hoffmann-Gedenkstätten überzogen. Es gibt ein gelungenes Bronzedenkmal vor dem Theater, das ihn als Flaneur mit einem Stapel Noten oder Manuskripten unterm Arm und einem Kater über der Schulter darstellt. Im Stadtpark zeigt ein großes Steinrelief die Begegnung des Dichters mit dem sprechenden Hund Berganza. Auch auf dem höchsten Punkt Bambergs hat er gewohnt und komponiert: Die außerhalb gelegene Altenburg präsentiert sich nach dem Wiederaufbau im 19. Jahrhundert als romantische Ritterburg wie aus dem Bilderbuch. Man meint auf Burg Ringstetten zu sein, Hauptschauplatz von Hoffmanns Undine-Oper. Er selbst glaubte sich hier bei Sturm und Regen in die Sphäre des Wassergeistes Kühleborn versetzt. Schade, dass seine eigenhändige Ausmalung der Hoffmann-Klause im Nordturm der Burgmauer nicht mehr existiert, dort hat heute ein bildender Künstler seine Werkstatt.
„Meine Lehr- und Marterjahre sind jetzt abgebüsst“, schrieb Hoffmann im Frühjahr 1813 an Kunz, als es ihn fortzog nach Dresden und Leipzig – und bald zurück in die Wahlheimat Berlin, wo er als Jurist, Komponist und Schriftsteller endlich die gebührende Anerkennung fand. Die Erinnerung an Julia und den dicken Weinhändler Kunz blieb dort lebendig. An Kunz schickte Hoffmann 1815 einen in der deutschen Literaturgeschichte einzigartigen literarischen Stadtplan, der seine Wohnumgebung am Gendarmenmarkt bevölkert von Freunden, Bekannten und literarischen Figuren zeigt. Kunz ist darauf zu sehen, wie er in einem von Hoffmanns Lieblingslokalen eine ellenlange Speise- und Weinkarte studiert. In Gedanken kehrte Hoffmann kurz vor seinem Tod noch einmal nach Bamberg zurück, als er todkrank und mit gelähmten Händen seine letzte vollendete Erzählung Meister Johannes Wacht diktierte: Bei Bauarbeiten am fürstbischöflichen Palast im katholischen Bamberg macht sich der protestantische Zimmermeister unentbehrlich. Eben dort im Bischofspalast ist heute die Bamberger Staatsbibliothek zu finden und darin die bedeutendste Sammlung von Handschriften des Autors.
Zum Weiterlesen:
Rainer Lewandowski, Spazierwege zu E. T. A. Hoffmanns Bamberg. 80 Seiten, 7,50 Euro
Bernhard Schemmel, In Hoffmanno! E. T. A. Hoffmann-Haus und E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft. 326 Seiten, 10 Euro
Beide in der Edition Hübscher im Genniges Verlag, Bamberg 2013
Michael Bienert ist Literaturspaziergänger, Kulturjournalist und Autor in Berlin. Soeben ist von ihm neu erschienen E. T. A. Hoffmanns Berlin. Literarische Schauplätze im Verlag für Berlin-Brandenburg, 176 Seiten mit 193 Abbildungen, 24,99 Euro. Der Autor leitet auch Stadtspaziergänge zu E. T. A. Hoffmann. Mehr unter: www.text-der-stadt.de/e_t_a_hoffmanns_berlin.html