Von Thomas Vogel
Ein Dorfroman, wie der Autor selber sagt, „der auf rund 500 Seiten breit dahinströmt wie ein Fluss, der allerdings auch überraschende Biegungen und gefährliche Stromschnellen aufweist“. Die Geschichte beginnt mit dem Kriegsende 1945, erzählt wird das Leben Christian Ebingers und der Menschen um ihn herum.
Nach unzähligen Krimis, Kinderbüchern, Fernsehserien und Theaterstücken nun der Roman des Lebens, nicht weniger. War das ein lange gehegter Wunsch?
Es war ein Buch, das ich seit zwanzig Jahren schon schreiben wollte, für das ich auch immer wieder Notizen gemacht habe. Aber ich wollte warten, bis ich mal richtig Luft hatte, um mich einem solchen Projekt voll widmen zu können.
Warum bezeichnest du den Roman als Heimatroman?
Ich nenne ihn ganz bewusst so. Ich wollte den Mikrokosmos eines Dorfs beschreiben, aber ich wollte dabei auch von Anfang an ein Stück weit Weltgeschichte erzählen. Es geht um drei Jahrzehnte jüngster deutscher Geschichte. Ich erzähle, wie ein Volk versucht, aus selbst verschuldeten Trümmern ein neues Land aufzubauen. Während sich die Dörfler und ihr Dorf ständig weiter verändern, entwickelt sich auch die Gesellschaft der Bundesrepublik.
Unterricht in bundesrepublikanischer Geschichte, aber eben nicht vom Historiker, sondern vom Schriftsteller erzählt. Wenn zum Beispiel nach zwanzig Jahren der Mann plötzlich aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt …
Man kann die Rückkehr der Kriegsgefangenen 1955 schön in allen Details historisch richtig darstellen, aber man kann eben auch einen Fall schildern, bei dem die Frau ihren Mann wiedertrifft, den sie längst schon aufgegeben hatte – und was das dann für Folgen hat. Als Schriftsteller vermittelt man sehr viel mehr aus der Emotion dieser Zeit heraus, schildert, wie gefühlt wurde in dieser Zeit. Ich glaube, ich kann sagen, mehr als zwei Drittel im Roman kommen aus dem direkten Erleben.
Der Ort Fleckenhausen liegt dreißig Kilometer südlich von Stuttgart. Dort liegt auch Dettenhausen, der Geburtsort von Eberhard Hungerbühler alias Felix Huby. Heimatjahre ist ja im besten Sinn des Wortes ein autobiografischer Roman. Christian, die Hauptperson, wäre dann also Eberhard …
Ja klar, und auch die Eltern und Geschwister im Roman sind meine Eltern und Geschwister. Weil ich regelmäßig darauf angesprochen werde, ist mir etwas untergekommen, was Irmgard Keun und Joseph Roth gesagt haben. Keun sagte über Roth, niemand wisse so genau, was von seinen Geschichten erfunden ist, was wirklich erlebt ist, er erzählt einfach gerne. Darauf Joseph Roth: „Dafür wird doch einer Schriftsteller, dass er die Welt anders sehen kann, anders wünschen kann, anders beschreiben kann, als sie ist.“
Als Schriftsteller darf ich lügen, erfinden, darf eigentlich fast alles.
Das ist ja das Schöne! Henri Nannen hat einmal gesagt: „Ich kann meine Memoiren nicht schreiben, die ändern sich doch jeden Tag.“
Anders dann eben bei einem autobiografischen Roman. Was passiert mit einem, wenn man sich auf autobiografisches Schreiben einlässt?
Man kommt schreibend hinter so manches, was einem früher nicht so klar war. Plötzlich kommen Gedanken, die man so früher nicht gedacht hat, die sich aber wirklich beziehen auf das Leben, das man hinter sich hat. Da nähert man sich sich selber. Man schreibt aus dem Vergnügen heraus, sein Leben noch einmal zu durchleben. Da der Christian mein Alter Ego ist, bin ich ja mittendrin – eine lustvolle Art zu schreiben. Im Grunde war es schon so, dass ich mir während des Schreibens vieles wieder hergeholt habe, was verschüttet war. Öfter als einmal geht einem da ein Licht auf …
Das kann ja durchaus auch etwas beängstigend sein …
Oh ja! Gerade weil man sich selbst beängstigend nahe kommt und dabei manchmal zu viel erfindet.
Einmal heißt es im Roman: „Es galt als Sünde, unverdientes Glück zu haben.“ Dabei hatte Christian, was seine journalistische Karriere betrifft, doch unverhofft oft Glück, durchaus auch unverdient. Es lebe der glückliche Zufall – oder wie würdest du es bezeichnen?
Ja, der glückliche Zufall. Ich muss aber auch sagen, ich hatte nie große Skrupel (lacht). Da gäbe es noch viele Beispiele, auch aus meiner journalistischen Tätigkeit, wo ich wirklich mit Hilfe des Zufalls, aber auch mit so einer gewissen Schlitzohrigkeit an Dinge herangekommen bin. Da hatte ich wirklich oft großes Glück. Das stimmt schon. Aber wir lebten eben auch in einer Zeit, in der du noch alle Chancen hattest. Wenn ich das mit heute vergleiche, mit den Studenten, die ich im Drehbuchbereich betreue, was das für ein Überlebenskampf ist. So etwas habe ich gar nicht gekannt, es ging alles viel lockerer zu. Wenn du begabt warst, dann hast du deine Chance bekommen, da hatte ich nie Zweifel.
Zurück zu den Heimatjahren: Welche Rolle spielt der Dialekt? Braucht man ihn, um größtmögliche Authentizität zu erlangen?
Mit diesem Problem schlage ich mich ja herum, seitdem ich Bücher schreibe. Meine Kriminalromane sind zum Teil sehr viel mehr im Dialekt geschrieben. Ich muss sagen, ich habe den Dialekt zurückgenommen, weil ich denke, dass es ein Buch ist, das bundesweit gelesen werden kann. Das bisschen Dialekt, das jetzt noch drin ist, kann jeder verstehen, es gibt bayerische Autoren, norddeutsche Autoren, bei Siegfried Lenz ist der Dialekt eingeflossen und bei Günter Grass findest du Danziger Formulierungen, das ist also nichts Ungewöhnliches. Aber ich glaube, dass ich ganz ohne den Dialekt nicht ausgekommen wäre. Nimm mal das Beispiel, das ich Schülern immer erzähle, um zu erklären, warum man im Dialekt vieles besser ausdrücken kann: Was sagt der Schwabe, wenn ein Seil unter großer Anspannung reißt? – Es fatzt. Besser geht’s nicht.
Auch in diesem Roman kommt der versierte Krimiautor zu seinem Recht, darf mal so richtig wuchtig „action“ schreiben.
Das stimmt. Schlägereien bei Dorffesten, wie ich sie in dem Roman einmal schildere, sind oft so abgelaufen, wenn Besoffene außer Rand und Band geraten sind. Häufig auch in der Realität, wenn es um Frauen gegangen ist.
Kommen bei den Lesungen nicht auch Leute, die sagen: „Ja sag amol, so war des doch gar net!“
Selbstverständlich. Es gibt ja Leute, die davon betroffen sind. Das muss ich auf mich zukommen lassen.
Actionszenen, glänzende Dialoge, durchaus mit schwäbischem Unterton, alles Elemente, die man aus den bisherigen Büchern ja auch schon kennt. Und doch ist dieses Buch etwas ganz anderes, nicht nur, weil es autobiografisch ist. Kann man es als so etwas wie eine Summe bezeichnen? Als ein Opus Magnum?
Ich glaube schon. Ich habe an diesem Buch viel intensiver gearbeitet als an jedem Kriminalroman oder Fernsehspiel. Es ist für mich das wichtigste Projekt seit vielen Jahren. Meine Absicht war, etwas zu schreiben, was wirklich literarische Qualität hat, ich wollte raus aus der Schublade des sogenannten Vielschreibers, des Krimischreibers, des Erfolgsautors. Ich wollte einfach mal ein Werk schaffen, bei dem alles, was bei mir an Talent und Begabung und vor allem auch an Erlerntem da ist, zum Tragen kommt. Ich hatte immer das Gefühl, wenn man nur dran bleibt, hart arbeitet und feilt, schafft man es auch, dass etwas wirklich Gutes dabei herauskommt. Das wollte ich mir auch beweisen. Ich wollte nochmal das große Buch schreiben, ein Buch, mit dem man den Namen Felix Huby mehr verbindet als mit Bienzle.
Zum Weiterlesen:
Felix Huby, Heimatjahre. Roman. Klöpfer & Meyer. Tübingen 2014. 476 Seiten, 25 Euro
Felix Huby liest u.a. bei den Stuttgarter Buchwochen am 20. November, am 21. November in Pfullingen und am 26. November in Melchingen.
Thomas Vogel, Jahrgang 1947, war viele Jahre Leiter der Kulturredaktion des SWR in Tübingen, ist Honorarprofessor der Universität Tübingen, Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen die Romane Hinter den Dingen (2011) und in diesem Herbst, ebenfalls bei Klöpfer & Meyer, Die goldenen Äpfel der Hesperiden.