Von Wolfgang Alber
Der Krisengipfel sollte die lang anhaltende Kirchenspaltung in
einem zudem weltlich zerstrittenen Europa beenden: 1414 begann das
Konstanzer Konzil, ihm ist die bis 21. September zu sehende
Landesausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe
„Weltereignis des Mittelalters“ am Originalschauplatz
gewidmet. Im Jubiläumsjahr gibt es eine Reihe von Neuerscheinungen,
die nicht nur die Aufhebung des Schismas und die Ausgrenzung von
Häretikern, sondern die vier Konzilsjahre zugleich als
spätmittelalterliche Zeitenwende beschreiben.
Das erste Konzil
nördlich der Alpen war nicht wirklich erfolgreich – letztlich
wurde der Kirche eine Reform verpasst und die Reformation
eingeläutet –, dennoch schreibt ihm der
US-Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt einen entscheidenden
Modernisierungsschub hin zur Renaissance zu. Dieser über
Ereignishistorie hinausgehende strukturgeschichtliche Ansatz findet
sich in einigen der Publikationen. Zudem wird die Stadt am Bodensee
als Ort der Völkervielfalt und Mehrsprachigkeit, der Schreibkultur
und Literatur dargestellt.
Zu nennen sind zunächst der Begleitband Das Konstanzer
Konzil. 1414-1418. Weltereignis des Mittelalters mit Essays zur
Ausstellung. Zwei Dutzend Autorinnen und Autoren stellen nicht nur
Organisation und Ablauf, Protagonisten und Teilnehmer, Gegenstände
und Beschlüsse des Konzils vor, sondern geben auch einen
kunstgeschichtlichen Einblick, etwa zur spätmittelalterlichen Buch-
und Tafelmalerei im Bodenseeraum. Gewürdigt wird natürlich der
Konstanzer Schreiber Ulrich Richental, dem wir ein facettenreiches
Bild des Konzils verdanken; Richental war rasender Reporter und
akribischer Chronist zugleich.
Während des Konzils waren
Hunderte von Schreibern und Sekretären anwesend, die immense Mengen
des gerade erfundenen Papiers füllten, und es reisten neben
Gelehrten zahlreicher Universitäten in päpstlichen Diensten
stehende Humanisten wie Poggio Bracciolini oder Leonardo Bruni an,
die sich in den Bibliotheken umliegender Klöster auf die Suche nach
Handschriften machten. Sie spürten unbekannte, vergessene,
weggeschlossene Texte wie Ciceros Reden, Quintilians Unterweisung in
Rhetorik oder Vitruvs Architekturlehrbuch auf. Und vor allem
entdeckten sie Lukrez’ lateinisches Lehrgedicht „De rerum
natura“: Die von der epikureisch-atomistischen Philosophie
geprägten Hexameter sprengten das enge christliche Weltbild und
erweiterten den Horizont; der Mensch wurde zum Maß der Dinge; so
urteilt Greenblatt, der führende Theoretiker des
literaturwissenschaftlichen „New Historicism“.
Die Beiträge
geben den neuesten Stand der Forschung bis in die Fußnoten hinein
wieder, eine etwas frischere Sprache hätte jedoch manchen gut
getan. Und Register würden den Lesern den Zugang erleichtern; sie
fehlen auch bei den anderen hier besprochenen Büchern.
Wer einen knappen Überblick sucht, wird bei Daniel Gaschick und
Christian Würtz fündig. Ihr Bändchen Das Konstanzer Konzil.
Eine kleine Geschichte umfasst alle wesentlichen Stationen,
Personen, Themen: Der römisch-deutsche Kaiser Sigismund von
Luxemburg wollte die seit 1378 anhaltende Kirchenspaltung mit drei
konkurrierenden Päpsten (Johannes XXIII., Benedikt XIII., Gregor
XII.) überwinden, denn er hatte schon genug mit der weltlichen
Unordnung zu tun: Im Osten drohten die Osmanen, im Westen hatte der
französische König mit den Gegenpäpsten in Avignon ein eigenes
Machtzentrum. Im Volk herrschte Untergangsstimmung, immer wieder
flackerte die Pest auf, in den Straßen waren Flagellanten unterwegs
und Bauern erhoben sich.
Zumindest die Einheit der Kirche
(causa unionis) wurde in Konstanz 1417 durch die Wahl Martins V. zum
alleinigen Papst wiederhergestellt. Daneben ging es um
Glaubensfragen (causa fidei), die man mit der Verbrennung der
tschechischen Ketzer Jan Hus und Hieronymus von Prag zu beantworten
glaubte. Der kurze Prozess befeuerte indes die Hussitenkriege und
ließ aus der Konstanzer Asche den Phönix Luther
aufsteigen.
Schließlich stand die Kirchenreform (causa
reformationis) auf der Tagesordnung, die zwar nur zu
Ordensreförmchen führte, aber mit dem Dekret „Haec Sancta“
eine Magna Charta hervorbrachte, mit der sich das Konzil nun in
Glaubensfragen über den Papst erhob. Wieder liegt eine Ironie der
Geschichte darin, dass das Papsttum mit seiner Rückkehr nach Rom
erstarkte und diese Mitspracherechte wieder aufhob. Zumindest aber
wurde die Entscheidung, nach „nationes“ abzustimmen, prägend
für die Vorstellung von einem pluralen Europa.
Der
Konzilskosmos wird von den beiden katholischen Theologen in
übersichtlichen Kapiteln, erklärenden Infoboxen, mit Karten und
Bildern ausgebreitet. Insgesamt sind sie jedoch stärker an
Glaubensdingen als am Alltagsleben interessiert.
Dieses schildern Thomas Martin Buck und Herbert Kraume in Das
Konstanzer Konzil. Kirchenpolitik, Weltgeschehen, Alltagsleben
ausführlich. Konstanz wurde als Konzilsort ausgewählt, weil es
dem König als Reichsstadt unterstellt, zugleich aber als Bistum dem
Papsttum verbunden war, es lag nahe an Italien, aber außerhalb des
römischen Einflussbereichs. In der 6000 bis 8000 Einwohner
zählenden Stadt kam es zu einem intensiven Kulturaustausch, denn zu
den rund 2300 Konzilsteilnehmern im engeren Sinne gesellten sich bis
zu 70 000 Gäste aus der ganzen damals bekannten Welt.
Die
Stärken dieses Buches liegen in der Verknüpfung von genauer
Analyse und übersichtlicher Darstellung. Hier sind zwei
Geschichtsdidaktiker am Werk, die sich ebenso für die
„Multilingualität“ des Konzils wie für die „Wohnungs- und
Quartierfrage“ in der Stadt interessieren.
Gleiches Gewicht messen Jan Keupp und Jörg Schwarz in ihrem lebendig geschriebenen Buch Konstanz 1414–1418. Eine Stadt und ihr Konzil dem Kirchenereignis und seinem Schauplatz bei. Originalzitate zeigen das Geschehen plastisch, bisweilen auch drastisch, etwa die Verbrennung von Hus und Hieronymus. Auch „Augenschmaus und Sinnesfreude“ kommen bei den kenntnisreich und verständlich schreibenden Mittelalterhistorikern nicht zu kurz; zu den Konzilsgästen gehörten neben Bankiers, Bäckern oder Gauklern auch 700 Prostituierte.
An diese „Hübschlerinnen“ erinnert heute „Imperia“, die
am Konstanzer Hafen thronende Statue des Bildhauers Peter Lenk: eine
üppig dekolletierte Frau, die als wahre Königin des Konzils zwei
nackte, mit Kaiserkrone und Tiara geschmückte Männlein auf Händen
trägt. „Die schöne Imperia“ war nie in Konstanz, erst Honoré
de Balzac hat sie in seiner Erzählsammlung Die tolldreisten
Geschichten dorthin gebracht. Gern zitiert wird auch der im Sold
Sigismunds angereiste Barde Oswald von Wolkenstein mit seiner auf
den Bordellbetrieb gemünzten Sentenz: „Denk ich erst an den
Bodensee, / Dann tut mir gleich der Beutel weh!“
Wolkensteins
„Konstanzer Lied“ lässt sich ebenso wie ein Ausschnitt aus
Balzacs Imperia-Erzählung nachlesen in dem von der Konstanzer
Kulturamtsleiterin Waltraut Liebl und dem Journalisten Siegmund
Kopitzki herausgegebenen Band Die Gans ist noch nicht gebraten.
600 Jahre Konstanzer Konzil – ein Lesebuch. Der Titel spielt
auf eine Notiz von Hus an, dessen Name auf Tschechisch „Gans“
bedeutet.
Die Anthologie mag nicht so gelehrt daherkommen wie
die historischen Abhandlungen. Aber sie lässt sich genauso
zusammenhängend und anschaulich als Geschichte des Konzils lesen,
widergespiegelt in Texten vom 14. bis zum 21. Jahrhundert: Hus’
Briefe aus dem Kerker finden sich neben Thomas Müntzers „Prager
Manifest“; Stephen Greenblatt ist mit einem Auszug aus Die
Wende. Wie die Renaissance begann vertreten, der große
Konstanzer Mediävist Arno Borst beschreibt die Papstwahl; Egon
Erwin Kisch geht den Spuren seines Landsmannes Hus nach, Dieter Kühn
vergegenwärtigt seinen Protagonisten Wolkenstein; Pavel Kohout
setzt wie Theresia Walser und Karl-Heinz Ott das Konzil theatralisch
in Szene. Zusammen mit Texten von Nikolaus Lenau bis Bruno Epple,
Rainer Maria Rilke bis Arnold Stadler, Gustav Schwab bis Bohumil
Hrabal entsteht so ein abwechslungsreiches Mosaik des Konzils; in
ihren stringenten Einleitungen zeigen die Herausgeber den
historischen Zusammenhang und literarischen Kontext
auf.
Nachwirkungen und Nachleben des Konstanzer Konzils fehlen
in den vorgestellten Büchern zwar nicht ganz, aber es hätte sich
sicher gelohnt, ihnen genauer nachzugehen: den Zeugnissen im
Stadtbild, der Überlieferungsfolkore ums Dirnenwesen, dem Narrativ,
das Konstanz mit kirchlicher Intoleranz, nicht aber mit humanem
Fortschritt in Verbindung bringt. „Wir sind alle in die Geschichte
hineingezogen“, schreibt Arnold Stadler in seinem Beitrag „Es
war kein Liebeskonzil“ – ,,ob wir es wissen und wissen wollen
oder nicht.“
Zum Weiterlesen:
Karl-Heinz Braun/Mathias Herweg/Hans W. Hubert/Joachim Schneider/Thomas Zotz (Hrsg.), Das Konstanzer Konzil. 1414–1418. Weltereignis des Mittelalters. Essays. Konrad Theiss Verlag/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013. 248 Seiten, 39,95 Euro
Daniel Gaschick/Christian Würtz, Das Konstanzer Konzil. Eine kleine Geschichte. G. Braun Buchverlag, Karlsruhe 2014. 136 Seiten, 16,95 Euro
Thomas Martin Buck/Herbert Kraume, Das Konstanzer Konzil. Kirchenpolitik, Weltgeschehen, Alltagsleben. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2013, 392 Seiten, 26,99 Euro
Jan Keupp/Jörg Schwarz, Konstanz 1414–1418. Eine Stadt und ihr Konzil. Primus Verlag, Darmstadt 2013. 184 Seiten, 19,90 Euro
Waltraut Liebl/Siegmund Kopitzki (Hrsg.), Die Gans ist noch nicht gebraten. 600 Jahre Konstanzer Konzil – ein Lesebuch. Gmeiner-Verlag, Meßkirch 2014. 538 Seiten, 17,99 Euro
„Konstanz am Meer“ ist der Titel des „Himmelstheaters“ von Theresa Walser und Karl-Heinz Ott, das am 27. Juni im Rahmen der 600-Jahr-Feier in Konstanz unter der Regie von Johannes von Matuschka uraufgeführt wird. Das Theaterstück erscheint bei Klöpfer & Meyer, hat 160 Seiten und kostet 16 Euro.
Wolfgang Alber, geboren 1948, war langjähriger Redakteur beim Schwäbischen Tagblatt Tübingen und lebt als freier Autor in Reutlingen. Er ist (Mit)Herausgeber der Albgeschichten und der Geschichten aus Hohenlohe sowie von Gustav Schwabs Landschaftsbildern in der Kleinen Landesbibliothek bei Klöpfer & Meyer.