Von der Ehre, sich für die Freiheit zu engagieren – Das deutsche PEN-Zentrum tagt im Mai in Schwäbisch Hall und eröffnet den Literatursommer 2014

Josef Haslinger, geboren 1955 in Niederösterreich, wurde mit seinem 1995 erschienenen Roman Opernball international bekannt. Es folgten unter anderem die Bücher Das Vaterspiel, Phi Phi Island und Jáchymov. Seit 1996 lehrt er als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Im Mai 2013 wurde er zum Präsidenten des PEN-Zentrums Deutschland gewählt.

Sie sind vor einem Jahr zum Präsidenten des PEN-Zentrums Deutschland gewählt worden. Was haben Sie sich vorgenommen?

Ich habe den Eindruck, dass der deutsche PEN mit seinen über 700 Mitgliedern in der Öffentlichkeit kaum sichtbar ist. Das Vereinsleben sollte gerade auch regional stärker entwickelt werden. Der große Verband kann den Regionen etwas bieten. Ich habe gerade erst begonnen, mich darum zu kümmern, zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen, die in Veranstaltungen fließen könnten, damit Mitglieder auch beruflich in engeren Kontakt miteinander kommen. Ende September hatte ich zu einem Treffen von Autoren aus Mitteldeutschland ins Literaturinstitut eingeladen, das dem Erfahrungsaustausch diente und bei dem Studenten über ihre Veranstaltungsprojekte in Sachen PEN berichteten. Solche Begegnungen sollten über die Jahrestagung hinaus regelmäßig stattfinden und, je nach Bedarf, in unterschiedlichen Regionen.

Wobei der PEN ja andere Aufgaben hat als der VS, er soll nicht Lobbyarbeit für Schriftsteller leisten, sondern sich als ein explizit politischer Verein für verfolgte und unterdrückte Schriftsteller in aller Welt einsetzen …

Ja, der PEN hat internationale Aufgaben. Allerdings hieß das Motto der Gründerin des englischen PEN-Clubs 1921, Catherine Amy Dawson-Scott und des ersten Präsidenten John Galsworthy: „No politics, under no circumstances“. Sie wollten sich aus politischen Fragen heraushalten und kulturelle Brücken schlagen. Das war verständlich nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, aber etwas blauäugig. Denn der Einsatz für freie Meinungsäußerung und Völkerverständigung, der in der PEN-Charta formuliert ist, hat immer etwas Politisches.

Das 1924 gegründete deutsche PEN-Zentrum wurde schnell von den Nazis unterwandert, so dass sich zehn Jahre später der Exil-PEN gründete. Nach 1945 war es wichtiger denn je, internationale Kontakte zu knüpfen, sich um die Kollegen in anderen Staaten zu kümmern und für das freie Wort einzutreten. Das ist eine Aufgabe, die grenzenlos ist: Von der weltweiten Abschaffung der Zensur sind wir noch weit entfernt, da treten durch die digitalen Überwachungssysteme schon neue Gefahren auf. Darüber im PEN eine Diskussion zu führen, ist eine ganz wichtige Aufgabe.

Da hat sich durch den NSA-Skandal natürlich eine riesige neue Baustelle aufgetan. Aber auch die anderen Projekte sind nicht gerade klein!

Die beiden wichtigsten sind das Writers-in-Prison- und das Writers-in-Exile-Programm. Gerade auf sein seit fünfzehn Jahren systematisch ausgedehntes Exil-Programm darf der deutsche PEN wirklich stolz sein, es ist eines der bedeutendsten. Vergleichbare Programme gibt es nur in Norwegen, in den USA und in England, wir sind da ganz vorn mit dabei. Auch dank der Unterstützung durch die Bundesregierung können wir so der Welt etwas zurückgeben von dem, was sie einst für deutsche Autoren getan hat. Mittlerweile unterhält das deutsche PEN-Zentrum acht Wohnungen in deutschen Städten, in denen Autoren untergebracht sind, die aus ihrer Heimat flüchten mussten. Für einige wenige gibt es die Möglichkeit, in ihr Land zurückzukehren, für die meisten ist es dann doch die erste Bleibe, von der aus sie sich neu orientieren können, und zwar ohne materiellen Druck, weil sie nicht nur eine Unterkunft, sondern auch ein Stipendium erhalten. Dieses kann bis zu drei Jahren umfassen. Daneben sind wir den Autoren mit Rechtsberatung sowie bei verschiedenen Kontakten und Alltagsproblemen behilflich.

Woher kommen die verfolgten Autoren momentan?

Unsere derzeitigen Stipendiaten kommen aus Syrien, aus Tunesien und Bahrein, aus China, Vietnam und Georgien, aber auch aus Mexiko, das keine „klassische“ Diktatur ist. Die mexikanische Journalistin Ana Lilia Pérez, die auch in Schwäbisch Hall auftreten wird, hatte über die Verbindung der Regierung mit der Ölindustrie und der Drogenmafia recherchiert. Sie wurde nach Erscheinen ihres Buches mit dem Tod bedroht und es blieb ihr nichts anderes übrig als zu flüchten. Wir hoffen natürlich, dass die Mafia nicht das letzte Wort behält und Frau Pérez in ihr Land zurückkehren kann.

In einem anderen Fall hatten wir eine Wohnung für einen Autor frei, der aus China kommen sollte, aber er wurde vorher inhaftiert, da kamen wir zu spät und haben den Kontakt zu ihm verloren. Wir sind stets bemüht über die Botschaften und andere Kanäle Kontakt zu halten, denn in diesen Fällen muss es ja möglichst schnell gehen. Es ist nicht immer leicht, die verfolgten Schriftsteller aus den Ländern herauszuholen, einfach, weil sie meist nicht frei reisen können und obendrein deutsche Gesetze es Flüchtlingen nicht unbedingt leicht machen, hierher zu kommen. Wir sind sehr auf die Mitarbeit der deutschen Behörden angewiesen.

China ist wohl ein Land, aus dem viele verfolgte Autoren nach Deutschland kommen?

Ja, das hat sicher mit der Größe des Landes zu tun, es ist aber auch eines der Länder, in denen die Menschenrechte am übelsten missachtet werden. In diesen Ländern ist in den letzten Jahren zu beobachten, dass immer mehr Blogger unter Druck geraten und eingesperrt werden, also nicht mehr die „klassischen“ Autoren, die Bücher veröffentlichen, sondern Schreibende, die Zensurmaßnahmen umgehen wollen, indem sie sich über das Internet Gehör verschaffen.

Der PEN hat ja einen weiten Autor-Begriff, die Abkürzung steht für Poets, Essayists und Novelists, das heißt, Dichter, Essayisten und Romanschriftsteller. Aber es sind auch viele Journalisten dabei, also alle Menschen des kritischen Wortes …

Das ist von vornherein in dieser Breite gesehen worden. „Menschen der Feder“, kann man sagen, alle, die mit der Sprache arbeiten. Was die Freiheit des Wortes betrifft, so haben Schriftsteller eher noch als Journalisten die Möglichkeit, eine Aussage zu verschlüsseln. In den osteuropäischen Ländern, aber auch in Lateinamerika war das Lesepublikum immer in der Lage, aus den Büchern versteckte politische Botschaften herauszulesen.

Sind die 143 nationalen PEN-Zentren irgendwie miteinander vernetzt?

Das funktioniert gut durch die jährliche internationale Tagung. Und es gibt das 1960 gegründete internationale Writers-in-Prison-Committee, das die Arbeit für verfolgte Schriftsteller, Journalisten und Verleger koordiniert und zweimal im Jahr eine „Case List“ vorlegt. Darin werden sämtliche in aller Welt bekannt gewordenen Fälle von Autorenverfolgung veröffentlicht. In dringenden Fällen werden dann die nationalen PEN-Zentren zu konzertierten Aktionen mobilisiert. Es werden diplomatische Kanäle genutzt und es werden Briefe an Regierungschefs, Präsidenten und Botschaften geschrieben, aber auch an die Verfolgten selbst, um sie der Solidarität ihrer Kollegen zu versichern. Das Schlimmste, was einem Autor passieren kann, ist, dass er ins Gefängnis kommt und niemand sich darum schert. Man muss diese Fälle wach und im Bewusstsein der Medien sowie der Politiker halten, das ist eine wichtige moralische Unterstützung.

Welche Rolle spielt der Ortswechsel bei den Jahrestagungen des deutschen PEN-Zentrums? Dient er der Öffentlichkeitsarbeit?

Es ist wichtig, dass die Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, dem PEN zu begegnen und aus erster Hand Informationen zu erhalten. Nach Schwäbisch Hall haben wir alle in unserer Betreuung stehenden Exil-Autoren eingeladen, nicht zuletzt, um sie auch unseren Mitgliedern vorzustellen. Miteinander ins Gespräch zu kommen, sich über die eigene Arbeit und Probleme, die sich innerhalb Deutschlands ergeben, auszutauschen ist ebenso wichtig wie die Stellungnahme zu internationalen Konflikten.

Wir sind kein modernes Unternehmen, das sich mit Hilfe von PR-Beratern in der Öffentlichkeit platziert, sondern wir benötigen die Unterstützung von Gleichgesinnten. Dafür ist es gut, die Orte zu wechseln und dann eher in kleineren Städten als in Großstädten zu tagen, weil dort die Aufmerksamkeit für unsere Arbeit konzentrierter ist.

In Schwäbisch Hall tagt der PEN unter dem Motto „Brich nur die Dielen auf, wenn es um dich stinkt“. Die Jahrestagung bildet zugleich den Auftakt für den Literatursommer 2014, der dem Thema „Worte sind Taten“ gewidmet sein soll.

Das schöne Motto von Eduard Mörike passt gut zur engagierten Literatur. Es fordert auf, sich einzumischen, den Gestank nicht hinzunehmen, und im übertragenen Sinn: den Menschenrechtsauftrag anzunehmen.

Was wünschen Sie sich für Ihre Ära als Präsident des deutschen PEN?

Präsident und Generalsekretär – seit letztem Jahr mit Regula Venske eine Generalsekretärin – sind ja Ehrenämter, deswegen sollte man das nicht ewig machen, sondern lieber kürzer, dafür mit ganzem Herzen. Im PEN zu sein ist eine Ehre, aber eine Ehre, die man sich durch Engagement für die Ziele des PEN erst verdienen muss.

Die Fragen stellte Irene Ferchl.

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Vom 15. bis 18. Mai findet in Schwäbisch Hall die Jahrestagung des PEN-Zentrums Deutschland unter Schirmherrschaft von Ministerpräsident Winfried Kretschmann statt. Öffentliche Veranstaltungen sind der Writers-in-Exile-Abend „Mut vor Königsthronen“ (zugleich Auftakt zum Literatursommer), eine Diskussion über Veränderungen in der Medienlandschaft, die lange Literaturnacht mit den 2013 zugewählten PEN-Mitgliedern und eine Matinee für Kinder mit Paul Maar.

Informationen unter www.pen-deutschland.de, www.schwaebischhall.de und www.literatursommer.de