Troll und unsereiner – Eine Hommage zum 100. Geburtstag von Thaddäus Troll

Von Jürgen Lodemann

Mit Thaddäus Troll verbindet mich ein eigentümlich inniges Un-Verhältnis. Zwar gibt es verschiedene Bekundungen, wonach wir uns geschätzt haben, zwar haben wir miteinander viel geredet, vor allem über Politik, privat wie auch öffentlich, hatten zu diskutieren über unseren Verband der Schriftsteller in der Gewerkschaft, was so viele gar nicht verstehen wollten, auch über den Radikalen-Erlass, auch schon damals über die Ost-Kontakte unseres Bundeshäuptlings Bernt Engelmann, aber über unser persönliches Verhältnis sind wir nie ins Reden gekommen. Das funktionierte nur. Problemlos freundschaftlich. Auch liegt Stuttgart von Freiburg aus sehr im Abseits. Fast drei Stunden Bahnfahrt, hin und zurück also fast sechs, und der Altersunterschied, und wir lernten uns erst zu spät kennen.

Dann kam, zwischen 1976 und 1980, vier Jahre lang, auf den Ebenen des Schriftstellerverbandes in Stuttgart dieses kurze, dieses merkwürdig gut funktionierende Un-Verhältnis zwischen zwei Schreibenden. Zuvor schon hatte ich Trolls Kampagnen bewundert, seinen Einsatz nicht nur für Willy Brandt, zusammen mit Günter Grass, sondern auch – als Essener – sein Eintreten für Gustav Heinemann, den einstigen Essener Oberbürgermeister, nun Bundespräsident, ein Alt-1848er. Bei den Kampagnen bewunderte ich Trolls immer neuen und vehementen Einsatz für die Freiheit des Worts, lernte ihn schätzen auf Podiumsdiskussionen und dann eben in diesen Vorstandssitzungen, schon auch zusammen mit Margarete Hannsmann und Johannes Poethen, im gemeinsamen Aushecken von möglichst treffenden Formulierungen gegen alle Sorten Trägheit und Feigheit und Verschlafenheit.

Seit jenen Jahren ist zum Glück und allseits klar, so hoff’ ich jedenfalls, dass die Bezeichnung „Mundartdichter“ in eine Sackgasse führt, dass es sich bei Troll um einen Dichter handelt. Ausdrücklich will ich darauf hinweisen, dass sein größter Buch-Erfolg – Deutschland, deine Schwaben – schon im Titel mit „Deutschland“ beginnt und erst dann kommt „Schwaben“, und da geht’s, wie immer beim Troll, nicht um abseitig Nebensächliches, sondern ums Ganze, freilich am Beispiel dieser allfällig auffälligen Schwaben. Ja, das mit der Mundart hatte er erst damals intensiviert. 1976, als wir uns kennen gelernt hatten, als er mir tatsächlich Freundliches vorschwärmte von meiner Ruhr-Hure Drögemöller – er, der Schwabe über mein Ruhrdeutsch – und als zugleich sein O Heimatland erschien, „Verse in schwäbischer Mundart“, und im selben Jahr, ebenfalls 1976, Molières Der Geizige auf Schwäbisch, der „Entaklemmer“ – welch ein Bild schon im Titel, dieses Spiel um den, der dermaßen auf seine kleinen Vorteile bedacht ist, dass er sogar seinen Enten ins Hinterteil kneifen muss um zu prüfen, ob da grad jetzt was abgehen könnte für ihn. „Geizig“, das heißt im Ruhrgebiet „kniepig“, kommt vom Kneifen – Sie sehen, da lauern zwischen Essen und Bad Cannstatt Untiefen an Gemeinsamkeit.

In den Jahren zuvor war aber von Troll denkwürdig Anderes zu lesen und zu hören gewesen, da war er – wie ja auch Bernt Engelmann, der andere alte Haudegen des Schriftstellerverbands – Spiegel-Korrespondent gewesen. Schon ab 1945 hatte Troll mit dem großartigen Kabarettisten Werner Finck vier Jahre lang Das Wespennest herausgegeben, mit kneifenden Texten. Das Wespennest war die erste satirische Zeitschrift nach dem Krieg und hat außerdem und lange dem damals besten Kabarett Texte geliefert, dem Düsseldorfer „Kom(m)ödchen“.

Hier wie dort zwei Schreibende in getrennten Generationen, die aber beide versuchten, ihr politisches Engagement zusammenzubringen mit optimaler Form, Journalismus zu formieren ins Literarische, ins Erzählende. Es gilt aber unter Großdenkern seit je und erst recht heute als ausgemacht, dass, wer eine Botschaft hat, seinen Stil ruiniert, dass er mit einem Engagement literarisch nur Mittelmaß leistet. Dieses Urteil steht eisern fest, obwohl seit der Antike fortlaufend Gegenbeispiele entstehen, auch in deutscher Sprache, etwa von den politischen Liedern Walthers von der Vogelweide („Ahî wie kristenlîche nû der bâbest lachet“ – welch wunderbarer Klang der Worte! a und i, die klassischen Wohllaute) über Heine bis Tucholsky und Brecht und Böll und zu einigen wenigen Heutigen. Es gibt das glaubwürdige Gerücht, Troll habe sich Troll nur deswegen genannt, weil er mit diesem Namen im alphabetisch geordneten Bücherregal neben Tucholsky stehen würde.

Dichter, so haben einige wenige früh erkannt, Dichter sind die wahren Geschichtsschreiber. Sie hatten schon immer im Gedröhn der täglichen Dummheiten den Durchblick, dafür wurden sie gern auf Hohenaspergen weggesperrt oder in Gestapo-Kellern. Oder auch nur heruntergemacht als Pinscher und Schmeißfliegen.

Ach, hätten wir doch hier und heute, angesichts des landesweit grassierenden Wegschiebens und Vernichtens von Kultur – denken Sie an die beiden Sinfonie-Orchester des hiesigen Senders, die Orchester in Stuttgart sowie in Baden-Baden und Freiburg, beide mit Weltformat – ach, hätten wir doch hier und heute, auch angesichts der schier unsäglichen Machenschaften rund um den bis vor kurzem immer gut funktionierenden und stilvollen Stuttgarter Hauptbahnhof, ja, hätten wir doch heute wieder so einen hinreißenden Formulierer wie den Thaddäus Troll. Angesichts der grotesken Kredit- und Boden-Schiebereien, quer durch Mineral- und Grundwasserterrain, durch Trümmerberge und Schuldenberge, da bräuchten wir dringend solche Mut- und Frechheits-Virtuosen wie „Tuch“ oder „Troll“. Die Grundstücksverträge, die Schiebereien, der Filz – unsäglich, aber auch Unsägliches, Troll oder Tucholsky würden es sagen. Als Troll noch lebte und wirkte, da hat ihn lange der wunderbare Josef Eberle alias Sebastian Blau (der Begründer der Stuttgarter Zeitung) unterstützt und angeregt, das waren noch Zeiten.

Die Karriere des Doktor Hans Bayer, die Laufbahn des Thaddäus Troll im Literaturbetrieb, sie endete, sagen wir’s mal deutlich, sie endete in Soltau. „Stadtschreiber von Soltau“, das war in seiner Karriere die letzte Auszeichnung. Gibt es das, Schwermut, wetterbedingt? Im letzten Herbst seines Lebens klagt er da, in Soltau, über den Lärm in der Nachbarschaft. Das war Lärm von Truppenübungen, von Panzerschüssen. Das kannte er, war fünf Jahre Soldat gewesen, an Ostfront und Westfront. Soltau als hartes Terrain. Herbe Gegend. Ich war ebenfalls mal Gast in Soltau, gut fünfzehn Jahre später, da hatte auch mich ein hoher Offizier der Bundeswehr eingeladen und ich habe mir dort vorzustellen versucht: der Pazifist und Genussmensch Troll in diesem nebelfernen Abseits. Auch sein großes Vorbild Tucholsky hatte sich das Leben genommen. Tuch vorher, Troll nachher. Und 1980, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, sah man sich durchaus wieder in einem Vorher. Fachleute und Statistiker hatten in diesen Jahren genau nachgerechnet und konnten verkünden, der Osten sei in der Lage, den Westen 30-mal zu vernichten – atomar – , der Westen jedoch, der könne den Osten militärtechnisch 60-mal aus der Welt schaffen.

Troll, so traue ich mich jetzt zu sagen, sah sich damals auf dem Höhepunkt seiner Wirkungslosigkeit. Und war doch in eben diesen letzten Jahren zugleich auf dem Höhepunkt seiner Volkstümlichkeit, zumal für ihn spätestens seit 1976 auch die Mundart – ich sage ausdrücklich „auch“ – selbstverständlich geworden war als Handwerkszeug seines meisterlichen Schreibens. Aber in dem Maß, in dem seine Beliebtheit bei den Leuten groß geworden war, war im selben Maß das Echo der Großkopfeten leiser geworden, um nicht zu sagen herablassend. Oder es blieb ganz aus. Nicht gehört wurden zuletzt so sensibel gute Anmerkungen über Troll wie etwa die des Lyrikers Werner Dürrson, der Folgendes gesagt hat: „Jedenfalls ist er in der Art, wie er aufs Maul schaut – sich selbst und dem Volk –, da ist er für mich der bessere Luther. An Thaddäus Troll hat mich am meisten beeindruckt, dass sein Humor nicht trotzdem lacht.“ Der lacht also „wegen“. Soll sagen, Trolls Humor will Fatales nicht verniedlichen oder versüßen, sondern sichtbar machen.

Aber lassen wir doch Troll noch einmal selbst zu Wort kommen: „Ich lebe in einem Land, das außerordentliche Geister hervorgebracht, sie aber selten ertragen hat: Kepler, Frischlin, Schubart, Schiller, Hegel, Hölderlin, List, Hauff, Einstein, Hesse, Erzberger, viele Radikale, auch erstaunlich viele Terroristen. Ein Land, das mit der Erfindung des Autos und der Hegelschen Philosophie durchaus auch Unheil in die Welt brachte, ein Land, in dem die Macht selten ein Verhältnis zum Geist hatte und das seinen außerordentlichen Söhnen zwei bedeutende Internate bot, nämlich das Tübinger Stift und die Kerker auf dem Hohenasperg. Ein Land, in dessen Randgebieten es bei des Schöpfers Worten ,Es werde Licht’ so gottsallmächtig hell wurde, dass alle Sicherungen durchschmorten, weswegen sie seither im Dunkeln liegen: diese Gebiete sind ziemlich genau an den Wahlergebnissen erkennbar. Ein Land, das sich durch exzessive Kirchlichkeit auszeichnet, auf Kosten der Christlichkeit.“

In der Unterscheidung von Kirchlichkeit und Christlichkeit setzt Troll tatsächlich nichts weniger fort als das, was hier schon zitiert wurde vom ersten politischen Liedermacher deutscher Sprache, von Walther von der Vogelweide: „Ahî wie kristenlîche” … Und die „Wahlergebnisse“? Mit denen meinte er wohl vor allem das, was er „Oberland“ nennt, da meinte er jene Gebiete, wo, wie er selbst sagt, „wo sich der Schnee schier gar geniert, dass er nicht schwarz ist“.

Troll-Kenner haben jetzt sicherlich bemerkt, dass ich dies Letzte eigentlich auf Schwäbisch hätte zitieren müssen, aber ich werde den Teufel tun, als Mensch aus Essen Trolls Mundart zu imitieren. Just auf solche mundartliche Weise hat es zwischen uns eben dieses eigentümlich innige Un-Verhältnis gegeben, weit über das trennend Landsmannschaftliche hinweg. Durch Troll durfte ich früh begreifen, was es für Folgen hat, als Schreibender immer neu die Perspektive derer da unten einzunehmen. Das konnte bei denen da oben auf Dauer unmöglich gut gehen, in diesem wie in jenem Betrieb. Da ergaben sich zwischen uns beiden so Verschiedenen auf wunderliche Weise vier Jahre lang und darüber hinaus denkwürdige Gemeinsamkeiten. Ich danke ihm – und danke nun Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Jürgen Lodemann, geboren 1936 in Essen, war von 1965 bis 1995 Redakteur und Filmemacher beim Südwestfunk-Fernsehen in Baden-Baden. Als Schriftsteller hat er Romane, Essays und Theaterstücke veröffentlicht, zuerst 1975 Anita Drögemöller und Die Ruhe an der Ruhr, zuletzt 2013 die Novelle Fessenheim.

Die „Hommage an Troll“ ist eine gekürzte Fassung seines Vortrags in der Reihe „Dichter im Dialog“ des Stuttgarter Schriftstellerhauses im August 2012.

Zum Weiterlesen:

Jörg Bischoff, Thaddäus Troll. Eine schwäbische Seele. Silberburg-Verlag, Tübingen 2014. 300 Seiten, 24,90 Euro

Die Werke von Thaddäus Troll erscheinen ebenfalls bei Silberburg,  www.silberburg.de