Das Große und die Kleinen

Ein Porträt des Schriftstellers Finn-Ole Heinrich

Von Cornelia Travnicek

Schreiben Schriftstellerinnen über ihnen persönlich bekannte Schriftsteller, so erwartet das Publikum eine Anekdote, um aus dieser Bekanntschaft Mehrwert zu schöpfen. Ich habe mit Finn-Ole Heinrich einmal an einem sehr kalten, verschneiten Wintertag am Wiener Zentralfriedhof einen Papagei fliegen sehen, was ich nie vergessen werde, weil es so unwirklich war.

Ist das nicht ein wunderbarer Einstieg in ein Porträt dieses Autors, der selbst immer wieder Stoffe findet, aus denen gute Geschichten gemacht sind.

Finn der Große

Nichts schreibt sich schwieriger als ein großes Lob. Für den Tadel, die Kritik haben wir ein riesiges Repertoire an Spitzfindigkeiten und bösem Humor. Für die Anerkennung, die Bewunderung, bleiben uns gar zu oft nur altbekannte Phrasen.

Ich könnte hier jetzt einfach schreiben, „Finn-Ole Heinrich ist ein großer Erzähler“, und natürlich wäre das ein wahrer Satz, nur würde das auf ungezählte andere Autoren ebenfalls zutreffen. Ich könnte auch sagen, er finde „das Besondere im Banalen“,  seine Texte hätten „einen eigenen Ton“. Und das wäre ebenfalls wahr. Aber wie abgeschmackt.

Der gebürtige Cuxhavener Heinrich, der manchmal gern ein rassiger spanischer Tänzer wäre, vor allem, wenn ihn jemand Finn-Olé nennt, erzählt so, dass die Besucher einer lauten Buchmesse zuerst stehen bleiben, sich dann auf die Stühle setzen und nicht mehr aufstehen, bis der Text vorbei ist – und alle, die schon einmal eine Buchmesse besucht haben, wissen: Das will etwas heißen. Er erzählt so, dass jedes Mädchen das mit den Gummistiefeln, dem Bärenvater und den Hennahaaren aus seinen Kurzgeschichten sein möchte, und es liegt nicht daran, dass der Autor auch mal in einem Einkaufswagen durch das Bild in einer Zeitschrift für junge Damen fährt, dass sie ihn gerne in Geschenkpapier einpacken lassen würden, um ihn zu Hause ihren Eltern zu präsentieren. Und es liegt auch nicht bloß daran, dass der Autor, wie der KulturSPIEGEL schreibt, Zottelhaar und Hipsterbart trägt. Es liegt ein bisschen wohl an Heinrichs Frauenfiguren, vor denen die Männer oft etwas ratlos stehen, ein wenig schüchtern.

Doch eines sind Heinrichs Texte sicher nicht, nämlich Feel-Good-Movies. Bei ihm gibt es Versehrtheit, Zerstörung und Gewalt. Er zeichnet seinen Lesern keine heile Welt, wo keine ist, und das wiederum kann der Schlüssel zu seinem Erfolg bei jüngeren Lesern sein. „Street-Credibility“ wurde das in einer Rezension der taz einmal genannt.

Bei ihm leuchtet das Dunkle ebenso wie das Banale, und die scheinbare Einfachheit seiner Sprache wird zum Täuschungsmanöver, bis die Geschichte Leser und Zuhörer gleichermaßen von hinten über den Haufen rennt. Der eigene Ton ist nichts anderes als der Kamerablick des diplomierten Regisseurs, der den Film in seinem Kopf einfach so mitlaufen lässt. Wenn man ihn nach seiner Lieblingslektüre fragt, meint er nur, er lese nicht viel; so mancher andere Autor möchte so schnell wie möglich alles jemals Gelesene vergessen, um so unbelastet schreiben zu können, so direkt, ehrlich, unverstellt.

Heinrichs Erzählen endet aber nicht auf den Buchseiten, nicht bei seinen Solo-Lesungen, es endet nicht in seinen ebenfalls ausgezeichneten Filmen, sondern es wuchert in alle Richtungen und greift sich gerne kreative Köpfe aus anderen Kunstsparten, um mit ihnen ein noch größeres Erzählen möglich zu machen, auf einer Bühne, mit einem Orchester, mit Bildern, mit Gesang.

Vielleicht ist das Geheimnis eines Finn-Ole Heinrich nicht, dass er ein großer Erzähler ist, sondern einfach, dass er das Erzählen liebt. Und was lieben große und auch kleine Leser mehr als eine gute Geschichte?

Heinrich hat ein Herz für Kleine

Aktuell heißt es in vielen Artikeln, Finn-Ole Heinrich sei ein Kinder- und Jugendbuchautor. Er selbst sagt, er habe in seinem Leben noch kein Jugendbuch geschrieben und überhaupt gebe es keine Bücher für Jugendliche oder Erwachsene, sondern nur gute oder schlechte Bücher, die eben für einen Menschen funktionieren oder nicht. Selbst seine Kinderbücher seien keine Kinderbücher, sondern bloß explizit auch für Kinder. Das Funktionieren einer Geschichte über Alter, Geschlecht und Herkunft hinweg, das sei doch gerade die wahre Herausforderung. Er freut sich vor allem, so viele tolle Sachen machen zu dürfen. Wer möchte ihm da widersprechen?

Nicht zufällig veröffentlichte Heinrich, der Mann mit dem Oma-Mal auf dem Nasenrücken, seine zwei bisherigen Erzählbände sowie seinen Roman Räuberhände im mairisch Verlag und hielt dem kleinen Verlagshaus auch die Treue, als langsam Angebote der großen und renommierten Häuser eintrafen.

Und sicher auch nicht zufällig wurde Heinrichs erstes Kinderbuch Frerk, du Zwerg! 2012 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Das Hörbuch dazu hat er natürlich selbst eingelesen.

Frerk ist ein Antiheld mit Bügelfalte, dem eine rundum allergische Mutter die Schlüsselsuppe kocht und jeden Morgen kleinstgeschnittenes Obst in Müsli vorsetzt, damit er einmal groß und stark wird. Trotzdem ist Frerk unter den kleinsten und schwächsten Kindern seiner Klasse. Sein Vater, der wenig sagt außer „Guten Morgen“ und „Gute Nacht“, ist auch keine große Hilfe, am wenigsten, wenn es um Frerks Hundewunsch geht. Einen Hund bekommt Frerk nicht, so viel sei verraten, dafür zwergische Unterstützung aus einem Ei … Damit wird „ällus abranderus“. Ein Spaß zum Lesen und Vorlesen.

Eben ist Heinrichs nächster Streich erschienen, der erste Teil seiner Trilogie über Maulina Schmitt, die Königin von Mauldawien.

Im September wird Finn-Ole Heinrich als Stipendiat auf der Comburg in Schwäbisch Hall und bei den dortigen Kinder- und Jugendliteraturtagen zu Gast sein. Außer Lesungen gibt es vielleicht auch ein Geburtstagsfest, denn am 13. September wird er 31 Jahre alt. „Den Mund halten können andere“ – das steht schon lange auf der Website von Finn-Ole Pistole. Wie schön, dass er ihn nicht hält. Für seine kleinsten Leser hat er auch immer einen guten Rat parat: Lass dir nix erzählen.

„Brät! Brät!“

(Wer vielleicht nicht alles im Text verstanden hat oder manches seltsam fand, kann seine Wissenslücken mit der Lektüre von Frerk, du Zwerg! füllen.)

Zum Weiterlesen:

Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt. Mein kaputtes Königreich. Mit Illustrationen von Rán Flygenring. C. Hanser, München 2013. 168 Seiten, 12,90 Euro (Hörbuch, gelesen von Sandra Hüller, Hörcompany, 14,95 Euro)

Frerk, du Zwerg! Kinderbuch mit Illustrationen von Rán Flygenring. Arsedition, München 2011. 96 Seiten, 16 Euro (als TB bei dtv, 8,95 Euro; Hörbuch, gesprochen von Finn-Ole Heinrich, Hörcompany, 12,95 Euro)

Gestern war auch schon ein Tag. Erzählungen. mairisch Verlag, Hamburg 2009. 160 Seiten, 16,90 Euro (TB btb, 8,99 Euro)

Räuberhände. Roman. mairisch Verlag, Hamburg 2007. 208 Seiten, 15,90 Euro (TB btb, 8,99 Euro)

die taschen voll wasser. Erzählungen. mairisch Verlag, Hamburg 2005. 134 Seiten, 9,90 Euro

www.finnoleheinrich.de

Cornelia Travnicek studierte an der Universität Wien Sinologie und Informatik und arbeitet nun als Researcher in einem Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung im Tech Gate Vienna. Ihr 2012 bei der DVA erschienener Roman Chucks wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Kranichsteiner Stipendium.