Bruno Frank erzählt von Friedrich II., den er nicht den
Großen nennt
Von Fritz Endemann
Wer von
Friedrich und seinem 300-jährigen Geburtsjubiläum noch nicht genug
hat und vielleicht etwas Besonderes abseits der medialen Hochflut
sucht, dem sei hier eine unvermutete Konstellation vorgestellt: die
literarische Begegnung des Preußenkönigs mit dem aus Stuttgart
stammenden deutsch-jüdischen Schriftsteller Bruno Frank. Dieser hat
so eindringlich wie kaum ein anderer von König Friedrich erzählt;
jener, so ist zu wünschen, könnte mit seinem Jubiläum dem heute
fast vergessenen Autor ein Stück längst fällige Erinnerung
verschaffen.
Zunächst muss man heute wohl fragen: Wer
war Bruno Frank? Golo Mann schrieb 1965 in der Neuen Rundschau
zum zwanzigsten Todestag des Schriftstellers, der ein Weggefährte
Thomas Manns und ein enger Freund der Familie Mann war: „Bruno
Frank stammte aus einer alteingessenen Stuttgarter Familie jüdischer
Religion. Die schwäbische Herkunft merkte man ihm an; Bayern war
seine Wahlheimat; Preußen seine besondere Liebe. Genauer gesagt,
der König Friedrich. Ein Voltaireaner war er selber: ein Freigeist,
aber kein Fortschrittsgläubiger, ein Menschenfreund, aber, fürchte
ich, kein sehr guter Demokrat. So verliebte er sich in den
preußischen Helden, dessen Gestalt er wieder und wieder beschwor:
in dem tragischen Lebensroman des Baron Trenck; in dem Schauspiel
Zwölftausend, das vom schlimmen Soldatenhandel der deutschen
Fürsten und von Friedrich als Deus ex machina handelt; in den
Novellen Tage des Königs, kleineren, kultivierten
Meisterleistungen historischer Belletristik.“
Die
Erzählung Tage des Königs, Franks friderizianisches
Hauptstück, ist näherer Betrachtung wert, doch zuvor noch einiges
mehr zu Leben und Werk Bruno Franks. Für den Spross einer
assimilierten jüdischen Bankiersfamilie lag eine Laufbahn als
Schriftsteller, die er nach dem Abitur zielstrebig mit ersten
Veröffentlichungen von Gedichten und Erzählungen begann, ganz
außerhalb der familiären Erwartung und Tradition. Das in Tübingen
begonnene Studium der Rechtswissenschaft schloss er nicht ab,
promovierte jedoch in Literaturwissenschaft. 1909 und 1916
erschienen seine ersten Romane, ab 1919 auch Theaterstücke, mit
denen er später großen und andauernden Erfolg hatte, vor allem
1930 mit Sturm im Wasserglas. In den zwanziger Jahren stand
die Friedrich-Thematik im Vordergrund, 1928 versuchte Frank mit der
Politischen Novelle die deutschen und französischen
Hoffnungen und Ängste nach Locarno erzählerisch
darzustellen.
Nach der Heirat mit Elisabeth („Liesl“),
der Tochter der bekannten Schauspielerin Fritzi Massary, zog Frank
1926 in den Münchner Herzogpark in die Nähe Thomas Manns. Die
schon länger bestehende Bekanntschaft mit diesem wurde zur –
freilich nicht ganz gleichgewichtigen – literarischen
Partnerschaft und zur Freundschaft mit der Familie.
Im Februar 1933 kam die Emigration, 1937 die Niederlassung in Los
Angeles, wo die Franks in den ersten Jahren mit den Einkünften aus
der Filmindustrie gut leben konnten. Als auch die Manns 1941 nach
Beverly Hills zogen, erneuerten sich die Beziehungen, nicht zuletzt
bei der gemeinsamen Hilfe für andere Emigranten. 1934 erschien der
Roman Cervantes, eine eindrucksvolle Vorgeschichte des Don
Quijote, später folgten die Romane Der Reisepass und Die
Tochter. Das letzte Werk Chamfort erzählt seinen Tod
blieb ein grandioses Fragment. Am 20. Juni 1945 starb Bruno Frank in
Los Angeles.
Tage des Königs ist eine
dreigliedrige Erzählung aus Friedrichs letzten Jahren. Formal
selbstständig, fügen sich die drei Stücke nach Inhalt und Sinn zu
einem so plastischen wie facettenreichen Bild des alten Königs. Im
ersten Teil „Der Großkanzler“ geht es um den damals europaweit
nachhallenden Eingriff Friedrichs in den Prozess um den Müller
Arnold, dessen Mühle auf Betreiben des adligen Grundherrn wegen
rückständiger Pacht 1778 versteigert wird. Friedrich ist erbost
über die Gerichtsentscheidungen zum Nachteil des Müllers, kassiert
das Urteil des Kammergerichts, entlässt den Großkanzler von Fürst
und lässt die beteiligten Richter ins Gefängnis abführen. Eine
eindrucksvolle Machtdemonstration, die Frank sehr drastisch
schildert. „Ein Großer kann nicht Recht haben gegen einen
Kleinen“, das ist die unerschütterliche Maxime des Königs. Ob
der Richterspruch in der Sache nach dem damaligen Recht richtig war,
mag dahinstehen. Jedenfalls war dieser Rechtsstreit für den König
der entscheidende Anstoß, endlich die langgehegte Absicht zu
verwirklichen, ein neues Gesetzbuch nach seinen Vorstellungen zu
schaffen – das nachmals berühmte preußische Landrecht, mit
dessen Ausarbeitung der neue Großkanzler von Carmer unmittelbar
nach dem Eklat beauftragt wurde und das 1794 in Kraft trat. Frank
hat die Geschichte, wie aus altem, schlechtem Recht beziehungsweise
dem königlichen Machtspruch neues, besseres Recht wurde, in wenigen
starken Szenen komprimiert. Wie auch in den beiden anderen Teilen
der Erzählung arbeitet er mit dramatischen Kontrasten und
Zuspitzungen: hier der im Sessel kauernde König in schäbiger
Uniform, dort die Würdenträger mit untadeligem Äußeren und
Auftreten; erst der schier maßlose Zorn des Königs, dann bei der
Vision des neuen Gesetzbuches ein hohes Glücksgefühl, das die
körperlichen Leiden verdrängt.
Der zweite Teil „Die
Narbe“ spielt in Sanssouci kurz vor dem Bayerischen Erbfolgekrieg
zwischen Preußen und Österreich (1778/79), wieder in einer Folge
von stark konturierten Szenen: Das Gespräch Friedrichs mit George
Keith, einem greisen Weggefährten aus schottischem Adel, ist eine
melancholisch-gelassene Zwiesprache über Alter, Abschied und Tod,
von Seiten des Königs besorgt-liebevoll, fast zärtlich. Dann der
Auftritt des österreichischen Gesandten Graf Cobenzl. Hier ist
Friedrich ganz Herr der Situation, überlegen, ironisch, fest in der
Sache. Darauf die Wendung: Der „allzuschöne“ Begleiter des
Gesandten, ein italienischer Adeliger mit Namen Calsabigi, versucht
auf seine Weise, ihn den österreichischen Wünschen geneigt zu
machen. Doch dieser beendet abrupt die Unterredung und verweist auf
das Feldlager, also den Krieg. Dem verwunderten Keith erzählt
Friedrich die Geschichte seines Sexuallebens – Promiskuität,
Geschlechtskrankheit, ärztliche Eingriffe, die zuletzt zu Impotenz
führten, danach vorgespielte Homosexualität, um wieder als Mann zu
gelten. Das wollten die Machthaber in Wien sich zunutze machen. Die
Groteske wird zur schmerzvollen Lebensbeichte. Keith ist
eingeschlafen. Friedrich leise, nicht ohne Rührung: „Geh mir
voran. Sei mein Quartiermeister. Bestell mir Wohnung im Land der
leeren Träume.“
Der dritte Teil „Alkmene“ beginnt
mit der großen Truppenparade 1785 in Schlesien. Glänzende
Regimenter, prachtstrotzende Generäle, davor der König, klein und
mager, in schlechter Haltung und ungepflegter Uniform,
regendurchnässt. Doch er ist der unumschränkte Herr, unerbittlich
in scharfer Beobachtung und Kritik. Dabei eine weltgeschichtliche
Begegnung: Der Marquis von Lafayette, zurück von der Amerikanischen
Revolution, am Vorabend der Französischen, ist im Gefolge des
Königs, der in ihm den Held der neuen Zeit erahnt, während dieser
die Figur bewundert, mit der die alte Ära zu Ende geht: „Man kann
die Freiheit im Herzen tragen wie ich und doch zugleich diesen
Despoten“ …
Darauf begegnet uns der ganz andere Friedrich. Als ihm gemeldet wird, seine Lieblingshündin Alkmene sei dem Tod nahe, bricht er die Staatsgeschäfte ab und eilt nach Potsdam. Lange betrachtet er das inzwischen gestorbene Tier, flüstert zärtliche Worte des Abschieds, und als er das Halsband aufnimmt, kommen ihm die Tränen, „die letzten Tränen, die ich weine“. Ein Rührstück? So mag es zunächst auf den heutigen Leser wirken. Letztlich und eigentlich geht es dem Chronisten aber nicht um die Liebe des Königs zu seinen Hunden als Ersatz für einen Mangel an Menschenliebe. Der Abschied von dem Tier wird zum Abschied vom eigenen Leben.
Bruno Frank gelingt eine bewegende Szene, die erfüllt ist von
der Müdigkeit nach einem Leben in Einsamkeit und Selbstzucht, dem
Gedanken der Endlichkeit und der Ahnung von Vergeblichkeit trotz
aller Erfolge und der Bewunderung der Welt.
Schon in der
Einleitung hat Bruno Frank die Hauptmotive seines Friedrich-Bildes
genannt: Furchtlosigkeit, Härte gegen sich selbst, unermessliche
Arbeit, Wahrhaftigkeit und großartige Resignation – als eine
Einheit von Humanität, Geist und Stärke habe ihn jedes Volk zum
Vorbild nötig und sein eigenes heute am meisten. Friedrich als
Vorbild für republikanische und demokratische Tugenden, an denen es
der deutschen Republik so verhängnisvoll fehlte? Das war ziemlich
weit von der politischen Wirklichkeit der 1920er Jahre entfernt.
Dennoch war es ein nicht nur ehrenwerter, sondern auch
eindringlicher Versuch, dem Kult des „Alten Fritz“, der von den
Monarchisten und Nationalisten zum Kampf gegen die Republik
organisiert wurde, einen Friedrich entgegenzusetzen, dem ein andere
„Größe“ eigen ist, mit der er uns heute vielleicht noch etwas
näher kommen kann.
Zum Weiterlesen :
Bruno Frank, Tage des
Königs und andere Erzählungen. 1925
Ders., Ausgewählte
Werke. Prosa – Gedichte – Schauspiele. Einleitung von Thomas
Mann. 1957
(Beide im Rowohlt Verlag und nur
antiquarisch)
Sascha Kirchner, Der Bürger als
Künstler. Bruno Frank (1887-1945). Leben und Werk. Grupello
Verlag, Düsseldorf 2009. 416 Seiten, 36 Euro
Fritz
Endemann lebt als Jurist in Stuttgart. Veröffentlichungen und
Vorträge vor allem zur Landesgeschichte und zur juristischen
Zeitgeschichte, aber auch zu literarischen Themen.