Der Zeller-Mörike-Garten in Nagold
Von Alexandra Birkert
Die Welt wär ein Sumpf, stinkfaul und matt,
Ohne die
Enthusiasten:
Die lassen den Geist nicht rasten.
(Eduard
Mörike)
Es ist eine Erfolgsgeschichte. Auch wenn diejenige, die sie angestoßen hat, das glückliche Ende nicht mehr erleben durfte: Elisabeth Horn starb im Mai 2007 nach kurzer schwerer Krankheit.
Rein zufällig war die Germanistin und langjährige Leiterin eines Literaturkurses an der Volkshochschule Nagold im Frühjahr 2000 bei der Vorbereitung eines Vortrages über Eduard Mörike in dessen Briefwechsel darauf gestoßen, dass Mörike zusammen mit seinem Jugendfreund Johannes Mährlen im Juli 1862 aus Stuttgart zur Badekur in das unweit Nagolds gelegene Röthenbad gekommen war. Die beiden Freunde besuchten bei dieser Gelegenheit wiederholt den wohlhabenden und wegen seines sozialen Engagements hoch angesehenen Nagolder Apotheker, Pietisten und Privatgelehrten Dr. Heinrich Zeller – Mährlen war mit einer Schwester von Zellers Frau verheiratet, und seine Tochter Auguste hielt sich in diesen Sommerwochen mit einer Freundin im Zellerschen Hause auf. Mörike und Mährlen gastierten nicht nur in Zellers Stadthaus, das damals noch unmittelbar an der Nagold lag (heute: Stadtkämmerei, Badgasse 6) und das Mörike durch seine hübsche Lage und die reichen Naturalien-Sammlungen „in reinlichen Glasschränken“ tief beeindruckte. Die beiden waren auch mehrmals in Zellers idyllischem Biedermeier-Garten zu Besuch, der rund 15 Minuten zu Fuß nördlich vom Stadtzentrum auf dem Weg nach Röthenbach lag. Dort hatte Zeller erst zwei Wochen zuvor ein „kleines Schweizerhaus“ eingeweiht, dessen Veranda Platz für pietistische Gesprächszirkel, aber auch geselliges Beisammensein samt „Imbiss“ bot.
Neugierig geworden, machte sich Elisabeth Horn mit ihrem Mann auf die Suche nach diesem Garten und wurde schnell fündig: Im Norden Nagolds, am Hang zwischen Schelmengraben und Emminger Straße gelegen, fand sich eingemauert und umzäunt – noch immer in Privatbesitz – das Flurstück in reichlich verwildertem Zustand. Es hatte mehrmals den Besitzer gewechselt und war zudem geteilt worden. Erhalten hatte sich, wenn auch verwittert, eine mit kunstvollen Giebel-Schnitzereien verzierte hölzerne Gartenlaube („Vatersruh“), die Heinrich Zeller 1832, ein Jahr nachdem er den Garten erworben hatte, für seinen Vater anfertigen ließ. Das Gartenhaus aus dem Jahr 1862, im damals beliebten „Schweizer Stil“ mit rotem Sandsteinsockel und ausgemauertem Riegelfachwerk errichtet, war 1907 durch einen Anbau über der Veranda vergrößert und mit einer Bretterverschalung verdeckt worden. Aus dem Baugesuch wissen wir, wie das Schweizerhaus ursprünglich ausgesehen hat; zeitgenössische Darstellungen – etwa eine Zeichnung von der Hand Mörikes wie die des ehemaligen Röthenbads – liegen nicht vor.
Begeistert, umsichtig und couragiert machte sich Elisabeth Horn daran, das Zellersche Gartenensemble einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei war sie nicht die erste, die dazu Anlauf nahm. 1996 war ein Versuch des Forstdirektors Jochen Löffler, das Anwesen unter Denkmalschutz stellen zu lassen, klanglos gescheitert. Erst die Verbindung mit dem Dichter Eduard Mörike, dessen 200. Geburtstag im Jahr 2004 gefeiert wurde, brachte den Durchbruch. So bewährte sich die bekannte Wechselbeziehung zwischen Poesie und Gärten einmal auf ganz andere Weise: Der Kurzbesuch Mörikes ist wohl ausschlaggebend dafür gewesen, dass der Nagolder Zeller-Garten nicht nur zum literarischen Ort, sondern zum Kulturdenkmal „Zeller-Mörike-Garten“ anvancieren konnte. Mit seinem Ensemble aus abschließenden Mauern und Hecken, Sichtachsen, Gartenlaube und Wohngartenhaus sowie seiner Beetgestaltung, weist der Zellersche Garten typische Merkmale eines Biedermeiergartens auf, heute eine Rarität im deutschen Südwesten.
Mörike ist damals nicht ohne „literarischen Gewinn“ aus Nagold geschieden, wie im Einzelnen in Elisabeth Horns 2004 vorgelegtem Marbacher „Spuren“-Heft nachzulesen ist. Es trägt den Titel von Mörikes Gedicht „Lang, lang ist’s her“, das dieser zu Auguste Mährlens Hochzeit 1866 verfasste und zu dem er am ersten Abend im Zellerschen Haus inspiriert worden war: Hier hatten Auguste und ihre Freundin die deutsche Fassung des irischen Liedes „Long, Long Ago“ so hinreißend vorgetragen, dass Mörike davon ganz fasziniert war.
Zurück zur Erfolgsgeschichte. Nach zähem Ringen sind schließlich doch alle ins Boot gesprungen: Zusammen mit einer Handvoll Nagolder „Enthusiasten“ gründete das Ehepaar Horn im März 2003 einen „Förderverein Zeller-Mörike-Garten e.V.“, der heute fast hundert engagierte Mitglieder zählt. Hilfreiche Kontakte zur Volkshochschule Nagold, zur Mörike-Gesellschaft und zur Marbacher Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten wurden geknüpft. Schon im November 2003 erfolgte, auf Antrag der Stadt Nagold, der Eintrag des Ensembles in die Liste der Kulturdenkmale Baden-Württembergs. 2008 konnte die Stadt Nagold das Anwesen mit Unterstützung der Denkmalstiftung Baden-Württemberg endlich aus privater Hand erwerben und die Sanierung des Gartenhauses samt Anbau in Auftrag geben. Sie war bereits im Herbst 2008 zur Eröffnung der 25. Baden-Württembergischen Literaturtage in Nagold abgeschlossen, so dass das Gartenhaus erstmals für Lesungen und Vorträge öffnete. 2011 wurden die Gartenlaube originalgetreu restauriert sowie die Grenz- und Stützmauern saniert. Seit Ostern 2011 ist im Obergeschoss des Gartenhauses ein Kurzfilm über Mörikes Besuch zu sehen, den die Ludwigsburger Filmakademie, unterstützt von der Marbacher Arbeitsstelle für literarische Museen, erstellt hat. Er bildet nun das Herzstück der gezielt sparsam bestückten Dauerausstellung, die unter der Federführung des Nagolder Stadtmuseums („Museum im Steinhaus“) erarbeitet wurde und die an Mörikes Besuch und Zellers Wirken als Pietist, Apotheker und Wohltäter in Nagold erinnert. Hauptexponat der Ausstellung aber ist und bleibt das sorgfältig sanierte Gartenhaus selbst, dessen Geschichte auf Tafeln erzählt und zugleich anschaulich in Szene gesetzt wird, etwa durch Tapetenreste, die mit Zeitungen des Jahres 1862 unterfüttert sind. Zwei reich bebilderte und informative Hefte sind begleitend erschienen. Die Ausstellung ist schon ab Ende April zu sehen, auch wenn sie erst am 27. Juni, genau 150 Jahre nach der Einweihung des Zellerschen Schweizerhauses, im kleinen Kreis offiziell eröffnet wird – das Häuschen fasst nur 35 Personen. Garten und Museum sind während der Landesgartenschau jeweils Donnerstag und Sonntag nachmittags geöffnet, auf Wunsch können für Gruppen beim Förderverein Sondertermine gebucht werden. Ergänzend bietet der Verein ein Programm aus Lesungen, Vorträgen und Führungen an und sorgt an den Öffnungstagen auch für das leibliche Wohl der Besucher mit Kaffee, Kuchen und „Heinerles-Wein“. Wer mag, kann auch „Per Pedal zur Poesie“ kommen und sich auf die von der Marbacher Arbeitsstelle zusammengestellte Dichter-Route von Nagold nach Pforzheim begeben, die am 15. Juli eingeweiht wird.
Ein kleiner Wermutstropfen in der Erfolgsgeschichte des Zeller-Mörike-Gartens bleibt, dass er nicht in das offizielle Gelände der Landesgartenschau einbezogen wurde und seine vollständige Bepflanzung, die sich vorsichtig dem historischen Vorbild annähern will, noch nicht abgeschlossen ist. Wie mag es hier wohl in ein, zwei Jahren aussehen, wenn Weinreben, Apothekergarten und Alpinum wieder florieren?
Zeller-Mörike-Garten, Emminger Straße 42, 72202 Nagold
Öffnungszeiten (Garten und Museum): 29. April bis 14.
Oktober, jeweils Donnerstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr
Ansprechpartnerin: Monika Schanz, Vorsitzende des
Fördervereins Zeller-Mörike-Garten e.V., Nagold. Telefon 07452 /
4829
Am 17. Juni um 15 Uhr: Öffentliche Führung durch den
Garten mit Eckhart Kern.
Weiteres unter www.nagold.de
(Veranstaltungen / Zeller-Mörike-Garten)
Zum Weiterlesen:
Elisabeth Horn, „Lang, lang ist’s her“. Mörikes Badekur in Röthenbach bei Nagold. Deutsche Schillergesellschaft, Marbach a. N. 2005 (Spuren 67). 16 Seiten, 4,50 Euro
Katrin Kommerell / Herma Klar, Im Schatten der großen Silberpappel. Der Zeller-Garten in Nagold, und dies., Den Schöpfer mit der Seele suchen. Heinrich Zeller – ein Lebensbild. Stadt Nagold 2011. 16 Seiten, 3 Euro (erhältlich im Nagolder „Museum im Steinhaus“ und im Zeller-Mörike-Garten)
Eckhart Ph. Kern, Biedermeier-Rarität: Der Zeller-Mörike-Garten in Nagold. In: Schwarzwälder Hausschatz 2012. Ein Kalender und Nachschlagebuch für jedermann, S. 44–47. Schwarzwälder Bote, Oberndorf 2011, 5,90 Euro
Irene Ferchl / Wilfried Setzler, Mit Mörike von Ort zu Ort. Lebensstationen des Dichters in Baden-Württemberg. Silberburg-Verlag, Tübingen 2004. 320 Seiten, 22,90 Euro
Alexandra Birkert, Jahrgang 1957, lebt als freie Historikerin und Literaturwissenschaftlerin in Stuttgart. Sie hält Vorträge und macht literarische Spaziergänge zum Rosenstein und zu Albrecht Goes. Derzeit arbeitet sie an einem Essay-Band, Zuletzt erschien ihr Buch Hegels Schwester. Auf den Spuren einer ungewöhnlichen Frau um 1800.