Clemens-Tobias Lange und seine CTL-Presse
Von Susanne Padberg
Wenn dem Hamburger Künstler und Buchkunstverleger Clemens-Tobias Lange am 26. Januar in Ludwigsburg der Antiquaria-Preis für Buchkultur verliehen wird, dann trifft es ihn zu Recht! Er publiziert seit über zwanzig Jahren in kleinen Auflagen, in vielen verschiedenen Sprachen, Materialien und Techniken Künstlerbücher, die neben dem reinen Text, dessen Transport man üblicherweise der Buchform zuschreibt, eine Art visuellen, geistigen Mehrwert suchen, nicht selten auch finden und vermitteln.
Doch von vorne: Clemens-Tobias Lange wird 1960 in Berlin geboren, verlebt seine Schulzeit in Hamburg, studiert Kunst und Design in Venedig, reist durch entlegene Winkel der Welt und gründet, wieder zurück in Hamburg, 1988 die CTL-Presse, in der er Künstlerbücher herstellt und herausgibt. Es ist sein Laboratorium, dort fließen Erfahrungen von Jobs im Zirkus, in verschiedenen Druckereien, zum Beispiel als Bleisetzer bei SchumacherGebler, bei Kätelhön oder in Roswitha Quadfliegs Raamin-Presse, ebenso ein wie sein Interesse für fremde Kulturen.
In einer Zeit, als die Gründung politisch motivierter und technik-kritischer Pressendruckereien ihren Höhepunkt schon überschritten hat, beginnt Clemens-Tobias Lange mit einer Radierpresse und einer guten Buchdruck-Ausstattung die ersten Bücher zu machen: H. C. Artmanns Lombardis lebensechte Wachspuppen, Venedig mit Texten von Vater und Sohn Goethe, Italo Calvinos Unsichtbare Städte sind poetische Setzungen; figurative Radierungen, gute Typografie und korrespondierende Einbände zeichnen schon die frühen Bände aus.
Clemens-Tobias Lange wiederholt seine Arbeiten nicht und dennoch erkennt man eine Handschrift: die Arbeit mit schemenhaften Fotografien, Bilder, die wie Erscheinungen wirken, die Umsetzung poetischer, fast mythischer Texte in eine sichtbare, nicht nur lesbare Poesie – eine vom Bild her gedachte „visuelle Poesie“ also. Sein Motto lautet: „Das Geistige hinter den Themen zu entdecken und durch das Materielle zu sehen.“
Es ist eine diffizile Suche nach Poesie und eng verbunden mit seiner eigenen Biografie. Italien wurde seit langem zu seiner zweiten Heimat und bestimmt seinen Ansatz für Kreativität, ebenso wie China und Japan. Seine Reisen und Studien der dortigen Kulturen und Religionen haben ihm die Augen für die Literatur geöffnet.
Ein Beispiel ist Die Geschichte des Fräulein Ren von Shen Jiji: Das schmale, hochformatige Buch wurde mit der Bronzemedaille als eines der schönsten Bücher der Welt ausgezeichnet. Der deutsche und chinesische Text – eine berühmte chinesische Fuchsgeistergeschichte – und 24 Bilder sind auf Japanpapier gedruckt, gebunden in rot-türkis changierende Seide, ein Ebenholzrücken hält die japanische Bindung.
Nach einer Reise entstand ein dreisprachiges Buch, Das Lied des Akyn, mit Originaltexten von Tschingis Aitmatow in Deutsch, Russisch und Kirgiesisch.
Immer stärker wiegen seit 1996 die Kooperationen mit anderen Künstlern und mit Autoren – Clemens-Tobias Lange nennt sie die Edizioni CTL, beginnend mit Yoko Tawadas Ein Gedicht für ein Buch. So simpel und programmatisch der Titel, so komplex ist das Werk. Technisch beschrieben, ist es eine Mappe aus Fischhaut mit elf losen Blättern darin. Das Zusammenspiel der Materialien überzeugt: halbtransparente, knisternde Japanpapiere, direkt analog fotografisch belichtet, schieben sich lose übereinander; für den Einband wurde kribbeliges Galuschat und weiches Wildleder verwendet. Der Text handelt in 33 kurzen Zeilen von der Kraft und den Möglichkeiten der Sprache. Die Fotos von Stephan Köhler unterstützen nicht nur die Worte, sie durchwandern im Dargestellten auch den Kreis der chinesischen Elemente.
Benin, Mexiko, Sibirien und immer wieder Italien sind weitere Verortungen von Langes manchmal fast mystisch-sinnlichen Text-Bildwelten, mit überraschenden, daunenweichen bis gummiharten Materialien umgesetzt. Die Finger lesen mit und erfahren feine Papiere, raue Haihaut, sanfte Daunen, Stoffe und Ebenholz. Ungewöhnliche Haptik durch Hartgummi, Obsidian-Vulkanglas, Kupfer und Segeltuch unterstützen die aus vielen Alphabeten sauber typografisch gestalteten Seiten mit Texten in bislang zwölf Sprachen. Form und Inhalte werden in einem meist langsamen Prozess auf das Wesentliche reduziert, bis zur reinsten Essenz. Clemens-Tobias Lange gebraucht alte und neue Techniken und immer mehr die analoge Fotografie, belichtet direkt auf die verschiedenen Materialien.
„Die Bücher müssen tadellos sein, und wenn etwas unordentlich scheint, gehört das zum Thema.“
Das neueste Buch ist noch ein „work in progress“: Mechachal, was so viel heißt wie „einander respektieren und achten“. Das Buch über den einst größten Marktplatz Ostafrikas, Harar, dessen leuchtbunte Stoffe mit schwarzweißen Fotografien bedruckt sind, ist auch inhaltlich ein harmonischer Melting-Pot aus Texten der verschiedenen Religionen und Ethnien, gebunden zwischen zwei sonnengelbe Bambusdeckel und mit dem Hinweis versehen: „Die Arbeiten an dem Buch dauern noch an und wir warten noch auf Stoffe aus Äthiopien.“ Wir warten gerne mit.
Ein Credo von Clemens-Tobias Lange ist unbedingt noch zu erwähnen: „Ein Buch soll Emotionen hervorrufen, ob es teuer ist oder klein und günstig, spielt keine Rolle. Das Buch sollte mit Liebe gemacht sein.“ Er hat es in die Tat umgesetzt: Neben den kleinen Auflagen der größerformatigen Kostbarkeiten bringt er als eine hochauflagige Reihe die „Libretti“, klein, erschwinglich und offsetgedruckt.
Außer für seine kunstverlegerische Tätigkeit gebührt Lange eigentlich noch ein weiterer Preis, denn seit einigen Jahren führt er eigeninitiativ, unabhängig und durchaus subjektiv die Website www.kuenstlerbuecher.com, den „Internationalen Salon für Künstlerbücher, Malerbücher, Artists Books, Livres d’artistes, fine print“. Dort sind tatsächlich weltweite Informationen über Künstler, Messen, Ausstellungen und Sammlungstätigkeiten übersichtlich vereint und zum Teil kommentiert. Diese Art der Bündelung von Informationen aus der Buchkunst-Welt und die großherzige Kommunikation sind ein seltenes Spezifikum.
Clemens-Tobias Lange besucht oft Symposien, wird immer wieder eingeladen, um auf internationalen Veranstaltungen in den USA, Norwegen oder Kolumbien mit Studenten, Kollegen und Kuratoren über neue Tendenzen in der Buchkunst verschiedener Länder und Kontinente zu berichten und zu diskutieren. Und natürlich sind seine Arbeiten nicht nur im Netz (www.ctl-presse.de) und auf Messen zu sehen, sondern auch in Ausstellungen: In der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, die ja eine der größten Sammlungen zeitgenössischer Buchkunst birgt, wird vom 10. Februar bis Ende Mai seine Ausstellung „Gemeint ist das Unsichtbare. Künstlerbücher von Clemens-Tobias Lange“ gezeigt.
Susanne Padberg, Jahrgang 1961, studierte in Tübingen und Wien Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften. Seit 1994 ist sie Inhaberin der Galerie DRUCK & BUCH in Tübingen, spezialisiert auf zeitgenössische Buchkunst.
Clemens-Tobias Lange: M ECHACHAL - SHEWA BER, CTL Presse, Hamburg 2011
Clemens-Tobias Lange, Stephan Köhler, Yoko Tawada: Ein Gedicht für ein Buch
Clemens-Tobias Lange: Cesare Pavese - Das Mysterium - Die Musen - Die Götter, CTL-Presse, Hamburg 1991
Clemens-Tobias Lange, Domenico Brancale, Stefano Vincieri: Viaggiare - Vom Unterwegs im Unterwegs, CTL-Presse, Hamburg 2005