„Die Anglerei ist ihm bald vergangen“

Erinnerung an Ernest Hemingway im Gasthaus Rössle in Oberprechtal

 

Von Gary Anderson

 

In einem kühlen Tal im Schwarzwald, an einer Straße, die in Serpentinen einen kleinen Hang hinaufführt, steht ein Fachwerkbau aus dem 19. Jahrhundert, das Gasthaus Rössle. Dahinter fließt die Elz, energisch und klar, ihr Ufer von überhängenden Bäumen bewacht, ihre Flusssteine von der raschen Strömung glatt geschliffen. Von außen ist nichts Besonderes zu sehen, aber im Hauseingang und in der rustikalen Wirtsstube hängen Bilder und Gegenstände, die an den berühmtesten Gast erinnern: Ernest Hemingway. Zusammen mit seiner Frau Hadley und vier Freunden verbrachte der damals 23-jährige Journalist im August 1922 einige Tage in Oberprechtal. Es war ein Besuch, der bis heute Wellen schlägt.

Die erste Reiseetappe ging per Flugzeug von Paris nach Straßburg: Hemingway, Kolumnist für den Toronto Daily Star, und seine Frau flogen in einem Doppeldeckerflugzeug der „Franco-Rumanian Aero Company“ – ein nicht ungefährliches Unterfangen. Nach zwei Stunden, während derer sie ihre Ohren gegen den heftigen Fluglärm mit Watte verstopft hatten, landeten sie auf einer Graspiste in der Nähe des Rheins. Hemingway beschrieb Straßburg als eine Stadt wie aus einem Märchen der Brüder Grimm. Sein Aufenthalt dort war, typisch für ihn, geprägt von gutem Essen und Trinken.

Aber Hemingways Ziel war – wegen seiner Leidenschaft für den Forellenfang – der Schwarzwald, er plante nach Triberg zu fahren und von dort aus eine Art Forellenwanderung zu unternehmen: Von Stadt zu Stadt und Fluss zu Fluss wollte man wandern und so viele Forellen wie möglich fangen.

Doch schon die mühsame, fünfstündige Zugreise von Freiburg nach Triberg zerstörte seine idyllische Vorstellung. Der Schwarzwald entsprach nicht seiner Erwartung: nur kleine Berge und Hügel, die zum Teil abgeholzt waren, viel zu viele Einwohner und überall Wanderer, die mit ihren Rucksäcken und Kochtöpfen nach Sauerkraut stinkend und lärmend durch die Gegend liefen.

 

Müde erreichten Hemingway und seine Begleiter Triberg und reisten in der Hoffnung, dort abgelegene Flussstellen zu finden, weiter nach Oberprechtal.  Aber Hemingways Angeltraum erwies sich von Anfang an als problematisch. Denn hier in Baden gab es, anders als zu Hause, wo er als Junge mit seinem Vater geangelt hatte, eine gut funktionierende Bürokratie. Verblüfft musste Hemingway erfahren, dass das Angeln wie das Buchen von Gästezimmern für ausländische Besucher schwierig zu bewerkstelligen war. Überrascht schrieb er im Toronto Daily Star, dass man im Schwarzwald einen Teil der Elz „pachten“ müsse – unvorstellbar für den jungen Angler aus Illinois. Fischereikarten zu bekommen war eine Art von Roulette: Manchmal klappte es, manchmal nicht, und es konnte passieren, dass sie von den Behörden – oder als Ausländer von den Gasthausbesitzern – verscheucht wurden. In Triberg fragte Hemingway: „Bitte, Herr Burgomeister. We wollen der fischkarten. We wollen to gefischen goen.“ Die Antwort des Bürgermeisters, der in Richtung der Tür deutete, war unmissverständlich: „Nix. Nein.“

Im Toronto Daily Star berichtete Hemingway: „Wenn Sie im Schwarzwald angeln gehen wollen, sollten Sie früh aufstehen, vier Stunden, bevor der erste Hahn kräht. So viel Zeit braucht man nämlich mindestens, um vor Einbruch der Dunkelheit das Labyrinth der gesetzlichen Vorschriften zu durchdringen und an den Bach zu kommen.“ Dieses Labyrinth zu umgehen gelang manchmal nur mit Wilderei. Das Ehepaar Hemingway bildete ein perfekt eingespieltes Wilderer-Duo: „Wir kamen am oberen Ende des Tals heraus. Ein schöner Forellenbach floss durch das Tal, kein Bauernhof war in Sicht. Ich steckte die Angelrute zusammen, und während meine Frau unter einem Baum am Abhang saß und in beide Richtungen des Tals Wache hielt, fing ich vier ordentliche Forellen, jede ungefähr dreiviertel Pfund.“

Manchmal angelten sie mit der Erlaubnis des Pächters, besaßen aber keine Fischereikarten; manchmal war es umgekehrt. Gelegentlich hatten sie weder das eine noch das andere und wurden von den Bauern mit Mistgabeln regelrecht verjagt. Da der Dollar im inflationsgeplagten Deutschland gegenüber der Mark extrem hoch stand, bestach Hemingway oft Bauern und Behörden, wenn sie erwischt wurden.

Der Gipfel: Am Stammtisch des Gasthaus Rössle wurden Hemingway und seine Entourage als ausländische Ausbeuter verunglimpft. Sein Zimmer war zu dunkel, der Misthaufen vor seinem Fenster unerträglich. So ließ er seinen Zorn an der Wirtsfamilie Pleuler aus: „Es gab hier eine ordentliche Mahlzeit mit Kalbschnitzel, Kartoffeln, Salat und Apfelkuchen, vom Wirt selbst aufgetragen, der unerschütterlich wie ein Ochse aussah. Seine Frau hatte ein Kamelgesicht und genau jene unverwechselbare Kopfbewegung und den Ausdruck äußerster Stupidität, die man nur bei Trampeltieren und süddeutschen Bauersfrauen beobachten kann.“ 

 

Obwohl Hemingway in späteren Texten den Schwarzwald bildhaft schön darstellte, fügte er irgendwo immer eine düstere Bemerkung ein. Sein bisher unbekanntes, in der Neuen Zürcher Zeitung 2009 erstmals veröffentlichtes Schwarzwald-Gedicht kann als Beispiel gelten:

 

Wie weißes Haar im Silberfuchs-Pelz

Lehnen die Birken gegen den dunkeln Kiefernhügel

Im Abteil wird Deutsch gesprochen.

Jetzt winden wir uns hinauf

Durch Tunnels

Schnaubend.

Dunkle Täler mit rauschenden Bächen,

Voller Felsen, weiß eingezäunt.

Finster blickende Häuser.

Grüne Felder

Aufgeforstet mit Hopfenstangen.

Eine Schar Gänse die Straße entlang.

Ich kannte mal einen Zigeuner, der sagte,

Hier wolle er sterben.

 

Seine Beschreibung von Triberg in Der Schnee auf dem Kilimandscharo endet ebenfalls düster: „Nach dem Krieg pachteten wir einen Forellenbach im Schwarzwald. Es standen Birken am Bach, und er war nicht breit, sondern schmal, klar, reißend, mit kleinen Ausbuchtungen dort, wo er die Wurzeln der Birken unterhöhlt hatte. Der Hotelbesitzer in Triberg hatte eine ausgezeichnete Saison. Er war besonders nett und wir freundeten uns an. Im nächsten Jahr kam die Inflation, und das Geld, das er im Jahr zuvor verdient hatte, reichte nicht aus, um Lebensmittel für den Beginn der neuen Saison zu kaufen, und er erhängte sich.“

 

Heute gibt „Hemingway im Schwarzwald“ ein gemischtes Bild ab. Auf der einen Seite stehen kritischen seine Artikel und Äußerungen von 1922, auf der anderen Seite ist die Legende intakt und sogar wirtschaftlich von Bedeutung: Sein Name ist in Tourismus-Broschüren, auf Web-Seiten und sogar im Rössle zu finden. In einer Ecke des Wirtshauses hängen Bilder und Zeitungsartikel zu Hemingway, die den Gästen einen großen Schriftsteller präsentieren. Die gebürtige Elzacherin Ida Klausmann, die als Kind oft Erzählungen über Hemingways Zeit in Oberprechtal hörte, hat ein Gedicht über seinen Besuch verfasst, dessen Originalhandschrift heute im Gasthaus Rössle hängt. Es macht deutlich, dass sein Aufenthalt alles andere als eine „Fiesta“ war:

 

Zurzeit grassiert in Oberprechtal das Hemingway-Fieber

Einst kam dieser Mann von Amerika rüber

Für unser Dörfle gewiß eine Sensation

Deshalb reden wir ja heut noch davon.

Der Amerikaner wollte unbedingt den Schwarzwald besuchen

Und in Oberprechtal für einige Tage Urlaub buchen

Im Gasthaus zum „Rössle“ machte er Rast

War aber durchaus kein lieber Gast.

Er war Kritiker von A-Z

Gegen seine Gastgeber unhöflich und keineswegs nett.

Die Wirtsleute hat er mit Ochs und Kamel verglichen

Den Misthaufen vor dem Haus konnte er nicht riechen

Die Gaststube war ihm zu dunkel und zu düster

Der damalige Rösslewirt hatte eben noch keine „Lüster“

Seine Schlafstätte hat ihm auch nicht behagt

Er hat sich darüber sehr beklagt

Das Bettlaken war zu klein und zu kurz

Aber wahrscheinlich größer als ein Lendenschurz.

Wenigstens hat ihm das Essen geschmeckt

Ich glaube, er hat sich einige Pfunde zugelegt

Kein Wunder, wenn Schwarzwälder Speck und Schwarzwälder Schinken

Nebst anderen Delikatessen winken.

Daneben hat er in der Elz nach Forellen gefangen

Aber die Anglerei ist ihm bald vergangen

Es ging ihm dabei elend miserabel

Ein Bauer verfolgte ihn mit der Mistgabel

Das war für den Amerikaner ein gewaltiger Schreck

Und auf einmal war Hemingway weg.

 

 

Zum Weiterlesen:

 

Ernest Hemingway, alle „Black Forest Articles“ in: Dateline: Toronto – The Complete Toronto Star Dispatches, 1920-1924. Hrsg. von William White. Scribner, 1985

 

Ders., Glücklich wie die Könige. Ausgewählte Briefe 1917–1961. Einleitung von Carols Baker, übersetzt von Werner Schmitz. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1984. 638 Seiten, 29 Euro

 

Ders., The Snows of Kilimanjaro. Random House. 6,90 Euro / Schnee auf dem Kilimandscharo. Übersetzt von Annemarie Horschitz-Horst. Rowohlt TB, 7,95 Euro

 

Dörte von Westernhagen, Ve wishen der Fischenkarten. Mark Twain und Hemingway im Schwarzwald. Hrsg. von Armin Elhardt. Edition Wuz Band 14, Freiberg a. N. 2001. 40 Seiten, 13 Euro

 

Zu „Angeln wie Hemingway“ siehe www.elzach.de, zur unrühmlichen Geschichte eines Hemingway-Festivals in Triberg vgl. den Artikel von Ingeborg Jaiser im Literaturblatt 5/2003.

 

 

Gary Anderson, 1962 in Tennessee geboren, lehrt Politikwissenschaft an der Zeppelin University Friedrichshafen und der Universität Zürich. Am 24. September um 14.30 Uhr hält er im James F. Byrnes Institut (Deutsch-Amerikanisches Zentrum) in Stuttgart einen Vortrag über Ernest Hemingway im Schwarzwald.