Kulturhistorikerin mit einer Vorliebe für Stolpersteine: Hazel Rosenstrauch
Von Hanne Knickmann
An so einem Satz bleibt man hängen. Stutzt, lacht. Er stammt von der Kulturhistorikerin Hazel Rosenstrauch und steht auf ihrer Website. Je mehr man dort oder anderswo Texte von ihr liest, desto klarer wird einem, was man bereits vermutet hatte: Dass es hier um mehr als bloß eine gekonnt formulierte Pointe geht. Denn die Clownskurse sind offenbar auch keine befriedigende Alternative zum Abschied von der Akademie. „Mein vierter oder fünfter Clownskurs, diesmal bei dem berühmten Philippe Gaulier. Seltsame Methoden – chauvinistisch, reaktionär, basierend auf Denunziation und Runtermachen der Leute. Er unterrichtet seit vierzig Jahren merkwürdig diese schwarze Pädagogik. Ich hab abgebrochen und geh nun doch nochmal hin, mal sehen, welche Art Clown da hervorschaut.“ Genau hinsehen, abbrechen, nachdenken, neu ansetzen. Das ist ein Muster, dem man bei Hazel Rosenstrauch immer wieder begegnet: eine Strategie, Dinge, Menschen, Geschehnisse mit Fragen zu umkreisen, um sie (und sich selbst im Verhältnis zu ihnen) besser zu verstehen.
Hazel Rosenstrauch wurde 1945 in London geboren, wuchs in Wien auf und studierte in Deutschland. Ihr Studium der Germanistik, Philosophie und Soziologie an der Freien Universität Berlin schloss sie mit einer Studie über Trivialliteratur ab, anschließend promovierte sie am Institut für Empirische Kulturwissenschaften an der Universität Tübingen mit einer sozialgeschichtlichen Studie über den Buchhandel im 18. Jahrhundert. Drei biografische Erlebniswelten und Perspektiven sind in ihren Publikationen vielfach und auf unterschiedliche Weise präsent: ihre jüdische Herkunft, die Studentenbewegung Mitte der 1960er Jahre, der Feminismus. Dem genauen Blick auf unsere gesellschaftliche, politische, kulturelle und mediale Gegenwart und darauf, wie wir uns in dieser Gegenwart sprachlich bewegen, gilt ihr Interesse ebenso wie der Literatur und dem Leben des Bürgertums im 18. und frühen 19. Jahrhundert.
Hazel Rosenstrauch war abwechselnd und nebeneinander für Zeitschriften und Zeitungen, in wissenschaftlichen Institutionen, in Redaktionen und Verlagen tätig – als Forschende, Lehrende, als Journalistin, Redakteurin, Lektorin und Autorin. Von 1998 bis 2004 gab sie für die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften die Zeitschrift Gegenworte. Hefte für den Disput über Wissen heraus. Hazel Rosenstrauch kommentiert dieses Projekt auf ihrer Website: „Das Interesse für die Arbeit an Sprache und mit Wissenschaft (trotz ihrer meist grauslichen Ausdrucksweisen) konnte ich – manchmal – essayistisch verbinden, und auch ich machte die Erfahrung, dass man nicht als Wissenschaftlerin gilt, sobald frau sich verständlich ausdrückt. Insofern war es ein Glücksfall, als ich die Möglichkeit bekam, eine Zeitschrift für und zusammen mit anerkannten Wissenschaftlern zu entwerfen und zu leiten, in der sich verschiedene Disziplinen um Öffnung und Verstehbarkeit bemühten. Ergebnis = die Hefte 1-14 der Gegenworte. […] Als man mich in die PR-Abteilung transferieren wollte, gab ichs auf.“
Es folgten, siehe oben, die Clownskurse. Aber nicht nur. Drei Bücher sind seither erschienen: das Buch über Karl August Varnhagen und die Kunst des geselligen Lebens, in dem Hazel Rosenstrauch äußerst unterhaltsam und informativ am Beispiel Varnhagens und seiner Frau eine Jugend um 1800 lebendig werden lässt; die Doppelbiografie Wahlverwandt und ebenbürtig über Caroline und Wilhelm von Humboldt, die von der Kritik vielfach gerühmt und rasch zu einem Erfolgstitel der „Anderen Bibliothek“ wurde; und schließlich die jüngste Publikation, der Band JUDEN NARREN DEUTSCHE mit teils neuen und teils bereits früher erschienenen Essays – und einem Titel, der bewusst offen lässt, ob NARREN ein Substantiv oder Verb ist.
Was den Reiz und Erfolg der historischen Arbeiten ausmacht, kennzeichnet, wenngleich auf andere Weise, auch diesen Essayband. Hazel Rosenstrauch erhebt sich als Autorin nicht über ihre Leser. Sie nimmt sie mit auf gemeinsame Entdeckungsreise, öffnet ihnen den Blick auf Archive, Dokumente, auf historische Zusammenhänge ebenso wie auf Alltagssituationen, auf Sprachgewohnheiten und Denkmodelle, sie erzählt, informiert, stellt Fragen – und provoziert, indem sie in ihre Texte Stolpersteine einbaut, die den Leser in eine dialogische Situation mit der Autorin führen: sei’s zustimmend, sei’s vielleicht auch widersprechend.
Einer der ersten Essays in JUDEN NARREN DEUTSCHE heißt „Erinnern und erinnert werden“. Hazel Rosenstrauch spricht hier von sich selbst als Tochter jüdischer Emigranten, bezeichnet sich zugleich als „ziemlich unjüdische Jüdin“ und berichtet von ihrem heutigen Leben in Berlin-Schöneberg. Im benachbarten Bayerischen Viertel wurden im Gedenkjahr 1993 an den Laternenmasten Gedenktafeln angebracht, die an die antisemitischen Erlasse der Nazis erinnern. Hazel Rosenstrauch: „Ich gehe also jedes Mal, wenn ich mich aus meiner Wohnung bewege, an diesen Schildern vorbei. Im Unterschied zu den Passanten, die sich an die Tafeln gewöhnt haben, sie vielleicht gar nicht sehen oder nichts damit verbinden, werde ich jeden Tag erinnert, dass nur die Gnade der späten Geburt mich davor bewahrt hat, deportiert zu werden. Jeder Weg nach draußen wird durch diese gut gemeinten Tafeln zur Erinnerung an die Differenz. […] Vermutlich hat keiner daran gedacht, dass auch ,Juden’ an diesen Tafeln vorbeigehen – oder gehört es zu den ungeschriebenen Gesetzen, dass ,wir’ (wir?) für solche Erziehungsmaßnahmen ohnehin dankbar sind oder sein sollten?“
Hier seien nur einige Beispiele dafür genannt, wie Hazel Rosenstrauch ihre Leser anhält, das Überlieferte und für sicher Gehaltene immer wieder aufs Neue zu hinterfragen: In ihrem Varnhagen-Buch geht sie mit ihren Lesern, bildlich gesprochen, in die Bibliothek und vergleicht verschiedene Varnhagen-Editionen: In den beiden Ausgaben seiner autobiografischen Denkwürdigkeiten, die 1950 und 1971 in der DDR erschienen, wurde der Anfang gestrichen, weil „die Berufung auf den Adel nicht ins Bild eines Varnhagen [passte], der als Demokrat vorgestellt wurde“. Wie also ist es um die Textgrundlagen bestellt, auf die wir unsere Urteile gründen? Weiter: Würde man nicht erwarten, dass eine jüdische, feministisch geschulte Autorin wie Hazel Rosenstrauch sich vor allem für Varnhagens Frau interessiert? Fehlanzeige. Hazel Rosenstrauch spricht von ihrer „Neugier auf diesen Mann im Schatten seiner Frau“ und wirft zudem noch die Frage auf, ob diese Frau nicht aus gut gemeintem Übereifer in einer Weise vereinnahmt wird, die differenziertere Betrachtungsweisen behindert: Sie werde „von Forscherinnen wie Verehrern gerne intim mit ihrem Vornamen bezeichnet […]. ,Die Rahel‘, angeeignet von Feministinnen, Philosemiten und Wiederentdeckern Preußens.“ Im Register von Ausstellungskatalogen und Büchern erscheine sie unter ,Rahel Varnhagen’, obwohl sie als Rahel Levin geboren wurde, dann den Nachnahmen Robert hatte und seit ihrer Taufe Antonie Friederike hieß. Gehen wir also in unserem Wunsch, Personen in einer bestimmten Weise zu rezipieren, so weit, sie unter dem Namen zu führen, der besser in unser Wunschbild passt, aber nicht den historischen Gegebenheiten entspricht?
Hazel Rosenstrauch spielt nicht mit rhetorischen Fragen und sie macht es weder sich noch ihren Lesern leicht mit einfachen Antworten. Oft gibt es auch keine Antworten von ihr, sondern nur die Sensibilisierung für die Notwendigkeit, das Fragen nicht aufzuhören. Denn, so eine ihrer Formulierungen im Varnhagen-Buch, „im Hintergrund hockt immer der Konjunktiv“.
Sie schreibt weiter, mit einer unverkennbaren Vorliebe für das, was sie vermutlich auch an Varnhagen besonders fasziniert: die „bis heute in deutschen Druckwerken so wenig vertretenen Mischungen zwischen wissenschaftlicher Objektivität und subjektiver Bewertung, Essays, weltzugewandte Romane, literarische Reportagen, Hybride“. Damit auch andere von ihrer Spracherfahrung und Sprachlust profitieren, hat sie einen „Schönheitssalon für empfindliche Texte“ gegründet. Ihr Angebot: Redigieren, Straffen, Entschlacken, Animieren, Vitalisieren, Reduzieren, Ein- und Ausleiten von Texten. Die nächsten Kurse, so liest man auf ihrer Website, sind schon ausgebucht.
Ebendort beendet sie ihre kurze Selbstvorstellung mit den Worten: „... und mische mich immer noch, wenn auch ungern, in Debatten ein“. Wir bitten darum.
Am 17. Februar stellt Hazel Rosenstrauch mit ihrer Verlegerin Lisette Buchholz vom persona verlag auf Einladung des Stuttgarter Schriftstellerhauses in der Stadtbücherei im Wilhelmspalais ihr Buch JUDEN NARREN DEUTSCHE vor.
Zum Weiterlesen:
JUDEN NARREN DEUTSCHE. Essays. persona verlag, Mannheim 2010. 157 Seiten, 14,50 Euro
Wahlverwandt und ebenbürtig: Caroline und Wilhelm von Humboldt. Eichborn Verlag (Die Andere Bibliothek), Frankfurt a. M. 2009. 333 Seiten, 24,95 Euro
Karl August Varnhagen und die Kunst des geselligen Lebens. Eine Jugend um 1800. Biographischer Essay. Das Arsenal, Berlin 2003. 223 Seiten, 19,80 Euro
Die Grazie der Intellektuellen: Natascha und der Faktor S. persona verlag, Mannheim 1995. 107 Seiten, 10 Euro
Website: www.hazel.rosenstrauch.com
Hanne Knickmann, Jahrgang 1966, ist Literaturwissenschaftlerin und betreibt seit 2003 eine auf Kulturzeitschriften und Kulturinstitutionen spezialisierte Marketing-Agentur in Darmstadt. Zuletzt erschien von ihr der Band Kurt Pinthus. Filmpublizist in der edition text + kritik.