Texte über Malerei, Bilder zu Literatur
Von Irene Ferchl
Das derzeit gehäuft zu beobachtende Auftreten des Phänomens mag Zufall sein – oder gibt es wirklich einen neuen, intensiveren Dialog zwischen Literatur und bildender Kunst?
Für die Jahresgabe 2009 der Kunststiftung Baden-Württemberg liefern sechs Stipendiaten und Stipendiatinnen aus dem Bereich Literatur – Susanne Fritz, Sandra Hoffmann, Walle Sayer, Annette Selg und Heinrich Steinfest – Gedichte oder Prosa zu Werken von Sandro Botticelli, Gaspare Traversi, Gerhard Richter und anderen; de sechste, Nico Bleutge, gibt dafür mit einem Gedicht aus seinem Erstling den Titel: honigwarme pupillen.
In der Heidelberger Stadtbücherei wird seit Februar eine Ausstellung gezeigt, für die sich namhafte deutsche LyrikerInnen, darunter Ulla Hahn, Günter Kunert, Lutz Seiler oder Uljana Wolf, mit Bildern des Fotografen Robert Häusser auseinandergesetzt haben; über den Hanser Verlag hatte Häusser vor drei Jahren seinen Werkkatalog an vierzig AutorInnen versandt, die sich dann jeweils eine seiner Schwarzweiß-Fotografien ausgesucht und dazu ein Gedicht verfasst haben.
Schon seit längerem druckt die Neue Zürcher Zeitung eine Serie unter dem Titel „Bildansichten“, für die in den letzten Wochen zum Beispiel Navid Kermani, Urs Widmer und Sibylle Lewitscharoff geschrieben haben; auch die von Brigitte Kronauer, Wilhelm Genazino und Michel Mettler in Buchform publizierten Essays über alte und aktuelle Gemälde von El Greco und Piranesi bis Asmus und Beckmann sind mehrheitlich dort zuerst erschienen. Und der österreichische Schriftsteller Josef Winkler hat kürzlich bei der Verleihung des Ehrendoktorats der Universität Klagenfurt nicht über Literarisches, sondern über den verrückten Außenseiter und Maler von Tierstillleben Chaim Soutine gesprochen.
Das umgekehrte Verfahren ist ebenfalls zu beobachten: Am 5. März wird in der Stuttgarter Galerie InterART in Kooperation mit dem Schriftstellerhaus eine Ausstellung eröffnet, für die 31 Mitglieder und Gäste der Union freischaffender Künstler sich je ein Gedicht von Helga Danzer, Günter Guben oder Doris Reimer ausgesucht haben – dass Danzers Text „Picassos Gedichte“ heißt und um tropfende, flatternde Farben und Wörter kreist, ist natürlich eine hübsche Fügung bei dieser Themenausstellung „Bildnerische Interpretation von Gedichten“.
Von Franz Kafka hat sich der aus Bratislava stammende, in der Schweiz lebende Künstler Pavel Schmidt anregen lassen und präsentiert während des ganzen Monats März 49 seiner Zeichnungen im Karlsruher Museum für Literatur am Oberrhein.
Weitere Beispiele für derartige Dialoge lassen sich zweifellos leicht finden, wobei Doppelbegabungen und Illustrationen noch gar nicht mitgezählt sind: In Fellbach waren jüngst Fotografien von Péter Nádas ausgestellt, in Gaienhofen Peter Weiss als Autor, Filmemacher und Maler, das Stuttgarter Literaturhaus zeigt momentan unter dem Titel „Wortlos“ Werke auf Papier von dem 2008 gestorbenen belgischen Schriftsteller Hugo Claus und im Goethe-Institut Schwäbisch Hall sind Zeichnungen zu unseren „frühen Freunden“, Michael Endes Jim Knopf, Otfried Preußlers Räuber Hotzenplotz und Kleines Gespenst, von Franz Josef Tripp mit Bearbeitungen seines Sohnes Jan Peter Tripp zu besichtigen.
Zu den beiden Gedenktagen von Max Bense und Kurt Leonhard, deren 100. Geburtstage Anfang Februar zu feiern waren, sind zwei Ausstellungen entstanden, die deren enge Beziehung zur zeitgenössischen Kunst dokumentieren. Der Philosoph Bense wie der Lyriker, Übersetzer und Essayist Leonhard verstanden sich als Vermittler der damaligen Avantgarde im Nachkriegsdeutschland: Ihre Bedeutung als Kurator, Förderer, Entdecker und Kunsttheoretiker lässt sich in der Esslinger Villa Merkel (Kurt Leonhard und die Grafische Sammlung der Stadt, bis 7. März) und im ZKM in Karlsruhe (Max Bense und die Künste, bis 11. April) verfolgen.
Sich einfach treiben lassen …
Wer Marcel Proust gelesen hat, verbindet genaue Vorstellungen mit Combray, dem fiktiven Städtchen aus dem Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: … „von ferne gesehen, aus einem Umkreis von zehn Meilen, von der Eisenbahn aus, wenn wir in der letzten Woche vor Ostern dort ankamen, war nur eine Kirche, die die Stadt zusammenfaßte, die sie vertrat, die in der Ferne von ihr und für sie sprach und die, wenn man näherkam, um ihren hohen, düsteren Kragenmantel herum mitten im Feld gegen den Wind wie eine Hirtin ihre Schafe die wolligen, grauen Rücken der zusammengescharten Häuser dicht beieinanderhielt, die ein Rest Stadtmauer aus dem Mittelalter hier und da mit einer ebenso vollkommen kreisrunden Linie umgab wie auf einem spätgotischen Bild“.
Der aus Stuttgart stammende, international erfolgreiche Fotokünstler Elger Esser, dem bis zum 11. April eine umfangreiche Ausstellung im Kunstmuseum gewidmet ist, hat sich auf die Suche nach seinem persönlichen Combray begeben und es an verschiedenen französischen Orten gefunden: hier die Kirche, dort die Straßen mit den ernsten Heiligennamen und einen Garteneingang, hier die Eisenbahnbrücke und dort ein Waschhaus, in dem der Lichteinfall, die unbewegte, spiegelnde Wasserfläche im Trog eine zauberhafte Zeitlosigkeit suggerieren. Die fast vergessene Technik aus dem 19. Jahrhundert, die Heliogravüre, in der die brillanten Fotografien gedruckt werden, trägt zu diesem Eindruck bei. Man meint, sich inmitten der Proustschen Atmosphäre zu befinden, was übrigens nicht nur für den Combray-Zyklus gilt, sondern auch für Essers andere französische Landschaften, Veduten oder Meeresstrände. Viele sind menschenleer, andere basieren auf historischen Postkarten und zeigen Personen und Schiffe aus einer längst vergangenen Zeit. In ihrer zarten, wie verblichen wirkenden Farbigkeit, ihrer ausgewogenen, an romantische Gemälde erinnernden Komposition, sind sie von melancholischer Schönheit.
Wenn Elger Esser der Ausstellung von rund fünfzig meist großformatigen Fotoarbeiten den Titel „Eigenzeit“ gibt, so bezieht er sich damit einerseits auf die Relativität der Zeit im Einsteinschen Sinn. Andererseits sind seine Aufnahmen nicht auf einer Zeitachse zu verankern, sondern erscheinen zeitenthoben – und dies wirkt am überzeugendsten genau dann, wenn er sich in den literarischen Kontext, in Beziehung zu Proust begibt.
Prinz Hering, Baronin Auster, Graf Käse
Der Katalog enthält, neben anderen Texten, einen Auszug aus Cees Nootebooms „Vergangenen Passagen“, in dem es zwar um Cézanne und dessen Landschaften geht, aber auch ganz allgemein um das Sehen – um das Sehen ohne Vorwissen, also um eine gewissermaßen naive, gleichwohl eigenständige Betrachtung, unbeeinflusst von Kunstgeschichte.
„Wer nicht das Anschauen bricht, sieht nichts“, heißt es an anderer Stelle bei Nooteboom, „wer nicht die Betrachtung vollführt, wiederholt das Gesehene.“ Unter diesem Motto stehen seine „Kunststücke“, vierzig Essays und Gedichte, die nun in einem prachtvollen Band mit dem Titel Das Rätsel des Lichts vereint sind. Dass der niederländische Schriftsteller eine starke Affinität zur bildenden Kunst besitzt, die Museen der Welt vielfach erklärtes Reiseziel waren, ist seit langem bekannt; in seinen Romanen und Reiseberichten – etwa Die Dame mit dem Einhorn – war dies unübersehbar, und mit dem Maler Max Neumann verbindet ihn eine enge und produktive Freundschaft.
Die Kunstwerke, denen Nooteboom sich widmet, umspannen – wen wundert’s bei diesem Homme de lettres – viele Epochen, viele Stile und die ganze Welt. Er schreibt über Piero della Francesca und Leonardo da Vinci wie über Anselm Kiefer und Neo Rauch, über eine attische Amphore wie über einen japanischen Wandschirm, über Paula Modersohn-Becker wie über Frida Kahlo. Um das „Rätsel des Lichts“ zu erkunden, betrachtet er Edward Hopper und Rembrandt und Vermeer – diese drei zusammenzudenken, bedarf der intensiven Kenntnis zur Gesamtschau. Es sind vermutlich nicht einmal nur Lieblingsbilder von ihm, obwohl seine geliebten Holländer vertreten sind, sondern auch ihm fremde Werke, mit denen die Auseinandersetzung lockt.
Nooteboom spaziert hin und her, nähert sich unbefangen und lustvoll, respektvoll und souverän, auf Augenhöhe gewissermaßen, voll Vertrauen in die eigene Wahrnehmung. Gleichzeitig lässt er den Bildern ihr Geheimnis, den anderen Betrachtern ihre eigene Sicht.
„Nootebooms Sprache öffnet den Blick“, schreibt Susanne Schaber in ihrem Vorwort, und das ist sowieso das Beste, was Sprache gegenüber der Malerei, Plastik, Grafik kann: eine Spur zu Entdeckungen legen, Neugier wecken, flüchtigen Assoziationen folgen, Mutmaßungen anstellen, ohne endgültige Deutungen vorgeben zu wollen. Natürlich fragt Nooteboom nach der Technik, interessiert sich für die Machart, das historische Umfeld und dergleichen, aber das Wissen darum verringert niemals das Mysterium. Er formuliert überraschend, witzig, wenn es um das Ding an sich auf niederländischen Stillleben („Prinz Hering, Baronin Auster, Graf Käse“) geht oder um „eine Raumfahrt in Deutschland“: Giovanni Battista Tiepolos Deckenfresko in der Würzburger Residenz.
Ein Lesegenuss sind die ausführlichen Essays ebenso wie die knappen Gedichte, unter anderem zu einer späten Radierung Picassos, dem Stundenbuch des Duc de Berry, Cristina Barrosos „Kartographie“ oder einer Zeichnung von Miguel Ybanez. Darin heißt es:
„Die sichtbare Welt schleust das Bild
durchs geöffnete Auge. Das innere Auge
entfaltet es, macht es neu
in neuen Helligkeiten. Denen gib Namen.“
Zum Weiterlesen:
honigwarme pupillen. Jahresgabe für die Unterstützer der Kunststiftung Baden-Württemberg 2009 als Dank für Patenschaften und Spenden. Information unter www.kunststiftung.de/institution.html
Ins Wort gesetzt. Zeitgenössische Lyrik zu Fotografien von Robert Häusser. Edition Braus, Heidelberg, 2007. 104 Seiten mit 40 Abb., 29,90 Euro
Brigitte Kronauer, Die Sprache von Zungen- und Sockenspitze. Sechs Texte zu Bildern. Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn 2008. 31 Seiten, 12 Euro
Wilhelm Genazino, Die Tugend – Die Trauer – Das Warten – Die Komik. Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn 2008. 31 Seiten, 12 Euro
Michel Mettler, Der Blick aus dem Bild. Texte und Bilder. Insel-Bücherei Nr. 1321. 127 Seiten, 13,80 Euro
Elger Esser, Eigenzeit. Katalog zur Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart. Schirmer/Mosel Verlag, München 2009. 180 Seiten mit zahlr. Abb., 49,90 Euro (im Museum 25 Euro)
Cees Nooteboom, Das Rätsel des Lichts. Kunststücke. Schirmer/Mosel, München 2009. 192 Seiten mit 74 Farbtafeln, 49,80 Euro
Irene Ferchl ist seit 1993 Herausgeberin des Literaturblatts, Autorin und Journalistin. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit der bildenden Kunst, schreibt Katalogtexte und spricht bei Ausstellungen.