oder was hinter den kargen Fakten des Literarischen Führers steckt
Von Fred Oberhauser
Plauen / SN
Julius Mosen,
* 8. 7. 1803 Marieney bei Oelsnitz, † 10. 10. 1867 –>
Oldenburg / NI, Lyriker („sächsischer Uhland“) und Dramatiker,
auch Erzähler. Heute ist M.s Werk außerhalb des Vogtlands
vergessen. Von M.s „Gedichten“ (1836) ragen heraus: „Andreas
Hofer“ („Zu Mantua in Banden …“) und das polenfreundliche
„Die letzten Zehn vom vierten Regiment“. Wichtig auch der Roman
„Der Congress von Verona“ (1842) und die „Erinnerungen“
(1893). – Gedenkstein im Röhrholz. – J.-M.-Archiv in Plauen im
Vogtlandmuseum, Nobelstraße 9-13.
Unterwegs in den vier Vogtländern: dem thüringischen um Greiz, dem bayerischen um Hof, dem böhmischen um Cheb / Eger und dem sächsischen, das den Namen heute noch weiterträgt. In Plauen erkundigten wir uns nach dem „Dichter des Vogtlandes“, Julius Mosen. Verehrt und vergessen, sagte der Bibliothekar und verwies uns nach Marieney. Dort sei Mosen Kult, mit Denkmal und Gedenktafel auf dem Kirchberg, einer ständigen Ausstellung im Bürgerhaus, und einen Julius-Mosen-Chor gäbe es auch noch, seit fast hundertfünfzig Jahren.
Also fuhren wir nach Marieney. Dort intonierte bereits am Ortseingang ein Ehrenschild Mosens Vogtlandlied „Wo auf hohen Tannenspitzen“. Den Chor trafen wir leider nicht. Dafür andere, nicht ganz so zünftige Sänger. Die waren mit dem Bollerwagen gekommen, es war Vatertag. Lagerten auf der Wiese und im Wirtshaus, tranken und sangen, dass es nur so seine Art, am Ende Unart hatte. Sozusingen lagen sie nämlich vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord. Auch von einem „Kleinen Trompeter“ war die Rede im Lied. Mosensche Gedichte gehörten nicht zu ihrem Liedgut. Nur einer erinnerte sich an das Vogtlandlied. Er hatte es in der Schule gelernt, mehr als die ersten zwei, drei Verszeilen aber nicht behalten.
Anderntags wurden wir fündig. In Kohren-Sahlis, das war allerdings schon nicht mehr im Vogtland. Mosen war von 1831 bis 1834 hier am Patrimonialgericht letzter Aktuar, mit einem entsprechend miserablen Gehalt. Er wohnte am Markt (heute) 98, unterhalb der alten Burgruine erinnert ein Gedenkstein an ihn. „Trotz der gehäuften juridischen Geschäfte“, vermerkt eine biografische Notiz, „drängte sich doch die Poesie mächtig hervor.“ Die Zeitläufte boten die aufregendsten Anlässe, vor allem für patriotische Lieder und Gedichte. Zwei machten Furore
Da brach der polnische Aufstand an der russischen Übermacht zusammen, am 4. September 1831 fiel Warschau. Zehntausende flohen und zogen nach Westen, Traumziel war Frankreich. Eine der Fluchtrouten führte über Dresden, entlang des Erzgebirges, über Chemnitz, Zwickau und Plauen bis zur bayerischen Grenze vor Hof. Polenkomitees, beargwöhnt und behindert von ihren jeweiligen Obrigkeiten, empfingen trotzdem die Flüchtlingskolonnen, versorgten und leiteten sie weiter. Mosen schrieb ihnen das Lied, in der Nacht des 5. Januar 1832: Eine Ballade von zehn polnischen Grenadieren „bei ihrem Übergange über die preussische Gränze im Herbste 1831“: „Ein ,Wer da?’ schallt - sie stehen festgebannt - Und einer spricht: Vom Vaterland getrennt - Die letzten Zehn vom vierten Regiment!’“ Mosens Freund Schuster lieferte postwendend die Melodie. Als Fliegendes Blatt „Zum Besten der heimathlosen Polen“ verbreitet, wurde das Lied in allen Ländern Deutschlands gesungen, „bis zur Drehorgel herunter“.
Das zweite Lied des Kohrener Liederfrühlings, gerade mal zwei Monate nach dem Polenlied am 11. März 1832 abermals mit fliegender Feder niedergeschrieben, das Gedicht vom letzten Gang Andreas Hofers „Zu Mantua in Banden“, hat seine „date fixe“ zehn Jahre zuvor, in Mosens Jenaer Zeit als deutsch-nationaler Burschenschafter, der 1823 die Heimholung des „treuen Hofer“ nach Innsbruck emphatisch registrierte.
Lieder haben ihre Schicksale. Die zeitgebundene Tendenz ließ Mosens Polenlied der Vergessenheit anheimfallen. Das Andreas-Hofer-Lied hingegen, bereits gesungen, bevor es in Chamissos und Schwabs Musenalmanach auf das Jahr 1833 Eingang fand, hielt sich weithin und war bekannter als sein Schöpfer. Zu guter Letzt wurde es am 2. Juni 1948 per Gesetz „nach den Worten von Julius Mosen und nach der Weise von Leopold Knebelsberger“ zur Tiroler Landeshymne erhoben.
Jena und Tirol noch einmal: In der „Franzosenzeit“ zwischen 1806 und 1813 musste der Rektor der Großherzoglich und Herzoglich Sächsischen Gesamt-Universität Jena auf Order der Besatzer den Gebrauch des „in modum Tirolinensum ululare“ durch die Studenten verbieten. Man witterte Widerstand. Denn „ululare“ übersetzte sich als „jodeln“. Und Jodeln stand unter Symbolverdacht: der Parteinahme für Andreas Hofer und seine Passeier Gleichgesinnten.
Fred Oberhauser lebt als Spurensucher und Autor in St. Ingbert. Zuletzt erschien von ihm, gemeinsam mit Axel Kahrs, der Literarische Führer Deutschland im Insel Verlag.