Das Beben des Buchhandels lässt Autoren zittern

Internet, E-Books und Google greifen die ökonomische Basis des Bücherschreibens an

Von Michael Bienert

 

Nein, auf das Internet als Paralleluniversum zum altvertrauten Kosmos der gedruckten Bücher, Zeitungen und Zeitschriften mag wohl kein Autor mehr verzichten. Es gibt vieles, was das neue Medium besser kann als die alten der Gutenberg-Galaxis. Zuhause am Computer in elektronischen Bibliothekskatalogen, Antiquariats- und Buchhandelsverzeichnissen nach der benötigten Lektüre zu fahnden ist tausendmal bequemer als das Suchen in gedruckten Verzeichnissen. Viele Informationen, die beim Bücherschreiben nützlich sein können, bekommt man sowieso nur noch papierlos: Wissenschaftliche Aufsätze erscheinen oft nur noch im Internet, Neuerscheinungen sind nur noch in den elektronischen Katalogen der Bibliotheken aufzufinden – das stundenlange Blättern in Karteikästen gehört der Vergangenheit an. Manuskripte heißen zwar immer noch Manuskripte, Verlage und Redaktionen nehmen von Dichtern aber schon lange nichts Handgeschriebenes mehr an.

Auch Vater Staat zwingt die Autoren zur Modernisierung ihrer häuslichen Infrastruktur. Wer grade mal das Nötigste mit dem Schreiben verdient, verliert seinen Status als Kleinunternehmer und muss Umsatzsteuer für den Staat eintreiben und abführen. Für die vierteljährliche Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung gibt es aber keine Papierformulare. Was dann dazu führen kann, dass ein neues Betriebssystem installiert oder gleich ein ganz neuer Laptop angeschafft werden muss, weil ältere Rechner vor den Datenverschlüsselungstechniken der Finanzbehörden kapitulieren. So erzieht der Staat seine Geistesarbeiter mit sanftem Druck zu Computerspezialisten, obwohl sie das vielleicht gar nicht werden wollen.

 

Dem Buchhandel hat die Digitalisierung bisher nicht geschadet, im Gegenteil: Sie hat die Produktion und den Vertrieb von gedruckten Büchern beschleunigt und billiger gemacht. Leidtragende waren Berufszweige wie die Schriftsetzer oder Lithografen, deren Arbeit mittlerweile von Grafikbüros oder Praktikanten miterledigt wird. Mit den handelsüblichen Programmen kann jeder ein Buch am heimischen Rechner bis zur Druckreife bringen, die Datei in eine Druckerei schicken und nach kurzer Zeit das fertige Buch abholen. Nicht sehr anders arbeiten viele kleinere Verlage. Ohne teure Spezialisten und ohne großes finanzielles Risiko können sie zahlreiche Titel in kleinen Startauflagen – als „print on demand“ – auf den Markt bringen.

 

Buchautoren müssen sich heute selbstverständlich in beiden Galaxien, in der papiernen wie der digitalen, bewegen. Ihre Werke müssen im Internet auffindbar sein, gut sind auch eine eigene Homepage mit Rezensionen und sonstigen Leserreaktionen, um auf dem Markt ernst genommen zu werden.

Die ökonomische Basis der professionellen Autorschaft – sofern der Schreibende keinen anderen Arbeitgeber hat – bildet aber nach wie vor die Beteiligung an den Verlagserlösen. Schöpfer gedruckter Texte haben einen allgemein akzeptierten, rechtlich einklagbaren Anspruch darauf, für deren Nutzung entlohnt zu werden. Egal, ob jemand das Buch kauft, in einer Bibliothek liest, kopiert oder verfilmt. Das deutsche Urheberrecht garantiert dem Autor sein geistiges Eigentum. Es handelt sich sogar um ein Grundrecht, das nicht abgetreten werden kann, lediglich Nutzungsrechte an diesem Eigentum kann der Autor übertragen. Das 2002 vom Bundestag gebilligte Urhebervertragsrecht soll eine „angemessene“ Vergütung sichern, allerdings hapert es mit der Umsetzung, weil die branchenüblichen Mindesthonorare von den Verbänden der Urheber und der Verwerter immer von neuem ausgehandelt werden müssen, und deren Vorstellungen liegen weit auseinander.

Immerhin eine Handvoll Belletristik-Verlage einigten sich 2005 mit dem Verband deutscher Schriftsteller auf eine Regelung. Sie verpflichteten sich, so viel zu zahlen, wie man als Autor auch bisher schon von einem anständigen Verleger angeboten bekam: acht bis zehn Prozent vom Nettoladenpreis eines gebundenen Buches als Autorenhonorar. Leben können davon nur wenige Bestsellerautoren, trotzdem ist so eine Regelung für jeden Autor, der mit einem Verlag verhandelt, eine große Hilfe; wer damit argumentiert, erkennt leicht, ob ein Verlag eine faire Teilung von Risiko und Gewinn anstrebt.

 

Bisher hat die Verbreitung von Buchinhalten auf digitalem Wege und durch das Internet keine große Rolle gespielt, aber das ändert sich möglicherweise bald. Noch ist schwer abzusehen, wie stark die Konkurrenz sein wird, die E-Books den gedruckten Büchern machen. Anders als Gedrucktes lassen sich E-Book-Inhalte ohne Qualitätsverlust kopieren, via Internet vertreiben und tauschen. Von einem massenhaften Wechsel zu digitalen Datenträgern wird der Buchhandel vielleicht ähnlich kalt erwischt werden wie in den vergangenen Jahren die Musikindustrie – und das wird auch für die Autoren zu Gewinneinbußen führen.

Gleichzeitig entstehen im Internet riesige digitale Bibliotheken von gescannten Büchern. Damit wächst der Druck auf Autoren und Verlage, mit ihren Büchern dort ebenfalls vertreten zu sein. Leider aber hat sich mit den Jahren eine Erwartungshaltung herausgebildet, wonach schöpferische Leistungen im Internet in aller Regel gratis angeboten werden. Viele dieser Angebote sind mit der Zeit immer hochwertiger und wichtiger geworden – das beste Beispiel ist der Siegeszug der Online-Enzyklopädie Wikipedia, von der Artikel inzwischen in Buchform gedruckt werden, während es auf absehbare Zeit wohl keine gedruckte neue Brockhaus-Enzyklopädie mehr geben wird.

„Der freie Zugang zu Inhalten scheint zunächst eine demokratische Forderung zu sein, die zu mehr Teilhabe beitragen kann. Jedem Urheber steht es frei, seine Werke kostenfrei im Internet anzubieten. Letztlich ist ‚open access’ aber nur eine Option für diejenigen, deren Lebenunterhalt anderweitig gesichert ist und die deshalb keinen ökonomischen Nutzen aus der Verwertung ihrer Werke ziehen müssen“, konstatiert der Deutsche Kulturrat in einer Stellungnahme zur „Digitalisierung der Medien als Herausforderung für Gesellschaft und Politik“ vom Dezember 2008. Was die Verlagerung der Informationsflüsse ins Internet bedeutet, haben in den letzten Jahren bereits viele Journalisten und Fotografen zu spüren bekommen, die bisher für Printmedien tätig waren. Nach der Devise: „Du unterschreibst oder du kriegst überhaupt keine Aufträge mehr!“ wurden sie aufgefordert, den Verlagen das Recht für die Verbreitung ihrer Texte und Bilder via Internet einzuräumen, ohne dafür einen Cent mehr an Honorar zu bekommen. Das erleichtert es den Printverlagen, ihre Aktivitäten im Internet immer weiter auszubauen, bis zu dem Punkt, an dem dann irgendwann die gedruckten Zeitungen und Zeitschriften als teures Anhängsel eingestellt werden …

Inzwischen schicken auch Buchverlage, die den Anschluss an die schöne neue Bücherwelt im Internet nicht verpassen wollen, ihren Autoren Schreiben ins Haus mit der Bitte, alle Rechte einzuräumen, die für eine digitale Vermarktung benötigt werden. Zugleich sollen die Autoren sich einverstanden erklären, dass es sich dabei um „Werbemaßnahmen des Verlags“ handelt, die „nicht unter die Vergütungsregeln“ des Hauptvertrages fallen. Ganze Bücher können dann ohne Entschädigung für den Autor in einem Werbeumfeld publiziert werden. Dem Verkauf der gedruckten Bücher, an denen der Autor ein paar Cent mitverdient, schadet das natürlich eher.

Sieben Millionen Bücher stehen allein über die Buchsuche bei der Suchmaschine Google mittlerweile kostenfrei zur Verfügung, ganz oder teilweise. Wegen der Verletzung von Urheberrechten haben die Verbände von Autoren und Verlegern in den USA eine Sammelklage angestrengt und einen Vergleich erzielt. Google hat sich verpflichtet, die Autoren und Verlage an den Erlösen zu beteiligen, die es mit seinem Digitalisierungsprojekt erzielt. Am meisten profitieren davon Autoren, deren Bücher im Buchhandel vergriffen sind, denn ihre Werke werden wieder zugänglich und es winkt sogar eine kleine Vergütung.

Im Börsenverein des deutschen Buchhandels wird die amerikanische Regelung indes sehr kritisch gesehen. Denn sie setzt das Prinzip außer Kraft, dass der geistige Eigentümer erst einmal gefragt werden muss, ob er einer Nutzung seines Werkes zustimmt. Er kann erst nachträglich die Digitalisierung rückgängig machen lassen. Vor allem aber fürchtet der Buchhandel eine „monopolartige Stellung“ von Google. Das Unternehmen, schreibt der Justiziar des Börsenvereins Christian Sprang in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift politik und kultur, könnte sich zu einem „Moloch entwickeln, der Buchsuchmaschine, Buchhändler, Verleger und Bibliothekar in einem ist. Damit droht der Buchbranche eine Vernichtung kultureller Vielfalt und ihren kleinen und mittleren Unternehmen der Verlust der wirtschaftlichen Existenz.“

Wenigstens konnte der Internetriese Google durch das gemeinsame Vorgehen von Buchverlegern und Autoren ein Stück weit in die Knie gezwungen werden. Daran sollten sich die deutschen Branchenvertreter ein Beispiel nehmen und schleunigst faire Vergütungsmodelle aushandeln. Das Internet ist schon lange keine Spielwiese mehr. Es ist ein Schlüsselmedium zu Macht, Einfluss und ökonomischem Erfolg. Autoren gehören zu den wirtschaftlich schwächsten Akteuren, deshalb sollte es ein paar Spielregeln geben, die sie vor der Ausplünderung durch die Medienriesen schützen. In der Welt der Bücher hat es Jahrhunderte gedauert, ein Urheberrecht zu entwickeln, das die Existenz freier Schriftsteller ermöglichte. Die rasante Entwicklung der digitalen Medien lässt uns nicht so viel Zeit.

 

Michael Bienert lebt als freier Autor in Berlin und schreibt von dort für die Stuttgarter Zeitung. Im März erscheint sein neues, mit Elke Linda Buchholz verfasstes Buch Stille Winkel in Potsdam im Ellert & Richter Verlag.